Die Spionin, die in der Wärme saß Von Carola Rönneburg

Machen uns Computer und Internet-Anschluß wirklich einsamer, wie immer gern behauptet wird? Manchen schon: wer etwa keinen zweiten Telefonanschluß hat, kann während seiner Touren durchs weltweite Netz nicht angerufen und zum Bier gebeten werden. (Das passiert, während er diesen Text in der Internet-Ausgabe der taz liest. Er heißt Ludwig.)

Eine Möglichkeit, öffentlich getrunkenes Bier und Computertätigkeiten zu vereinen, heißt „Internet-Café“ – eine Kneipe, in der man Live-Unterhaltungen über Tastatur und Monitor führen kann. „Tschättn, mehln, sörfen“ nennt sich das in der unvergleichlichen Berliner Werbelandschaft; übrigens ungereimt, was ja hier so selten ist, daß man immerzu versucht ist, auf dieses gräßliche Neusprech einen Reim zu finden: „Tschättn, mehln, sörfen – dessen Sie bedörfen“. Oder gleich „und ein Bierchen schlörfen“, bzw.: „is wat für Jungs mit Nörfen“.

In den meisten Internet-Cafés thront eine doofe Kiste auf einer Säule, und die sie umlagernden Idioten tschättn mit anderen Idioten:

– Was los bei euch?

– Hier ist es voll langweilig.

– Hier auch.

Das glaube ich gern. Es gibt aber auch Internet-Cafés, die ihren Besuchern Stühle und einen Computertisch anbieten. In der portugiesischen Hafenstadt Porto etwa, wo man seinen Ellbogen auf Mahagoni stützt und einen großen Cognac serviert bekommt, bevor man seine Urlaubspost verschickt.

Es war jedoch nicht im kühlen Porto, sondern im heißen Lissabon, wo ich im örtlichen Internet- Café freiwillig Zeugin eines elektronischen Befindlichkeitsaustausches wurde. Nicht weit von mir entfernt saß ein junger Ire, eingeklinkt in eine Chatline: „Are you there? – Derek“, fragte er bei verschiedenen feminin klingenden Adressatinnen nach und bemühte sich eifrig, einen Flirt in die Wege zu leiten. Derek, spionierte ich bald aus, suchte gezielt nach Fleisch und Blut in seiner Nähe: Eine Plauderei mit Kanada brach er nur geringfügig schneller ab als eine Unterhaltung mit „Jana“ aus dem nordportugiesischen Braga. Ich staunte wirklich sehr über seine Methoden, und deshalb möge man mir die Verletzung des Briefgeheimnisses und meine guten Augen verzeihen: Derek war ein Profi. Nach jeder erfolgreichen Kontaktaufnahme („Are you there?“ – „Sim“) führte er die Amtssprache Englisch ein („Speak english, please“), verlangte Auskunft über den wirklichen Namen seiner Gesprächspartnerin („Caterina is a very nice name. Where do you live?“) und ließ an anderer Stelle auch die Altersfrage nicht außer acht. („I'm 23. It was nice to talk to you.“) Darüber hinaus kommunizierte Derek mit mehreren Damen gleichzeitig – wenn es denn überhaupt Damen waren – und war daher so beschäftigt („I hope to see you some time“), daß ihm wesentliche Vorkommnisse im Lokal entgingen. Derek sah nicht, wie jene attraktive Frau neben ihm an einem anderen Gerät Platz nahm. Ihm entging, daß sich eine Horde kichernder Studentinnen drei Meter neben ihm haltlos betrank. Er bekam nicht einmal mit, daß es sogar dem fetten Wirt gelang, eine von ihnen abzuschleppen, und bemerkte auch nicht das Unterhöschen über seiner Stuhllehne.

Derek: Are you really there?