Das Gute liegt in der Zukunft

■ Zygmunt Bauman beschreibt Lust und Frust postmoderner Lebensformen

Nie waren die Chancen für ein selbstbestimmtes moralisches Handeln so gut wie heute, in diesen „postmodernen“ Zeiten, meint der Soziologe Zygmunt Bauman. In seinem neuesten Buch formuliert er seine „Postmoderne Ethik“ weiter aus.

Bauman betrachtet Auschwitz und Gulag als „legitime Produkte der Moderne“ und den Holocaust als eine Möglichkeit, die im Prinzip des Universalismus und der Übertragung eigener Werte auf den Rest der Welt immer schon angelegt war. Postmoderne Ambivalenz muß ihm da zwangsläufig als Chance erscheinen. Von Anfang an, so Bauman, sei es der Moderne darum gegangen, die Dinge zu zwingen anders zu sein, als sie sind: „Die Moderne kann ohne Zwang ungefähr so gut leben, wie ein Fisch ohne Wasser.“ Eichmann erscheint ihm als ein klassischer „Moderner“, dessen objektivierende Haltung gegenüber seinen Mitmenschen und Gleichgültigkeit gegenüber der Bedeutung des Leidens „das Böse freisetzte“. Wer, so Baumans Resümee, sich auf der Suche nach Schutz vor Unmenschlichkeit an die Fähigkeit der Vernunft halte, werde am Ende mit leeren Händen dastehen, „wenn nicht Schlimmeres“.

Baumann plädiert statt dessen für mehr Emotionen: „Fürsein“ ist die Bezeichnung, die er der engen emotionalen Beziehung zum anderen verleiht, „ein Skandalon der Vernunft“, wie er es nennt, ein Sprung aus der Isolation zur Einheit und gleichzeitig die Geburtsstunde des moralischen Selbst. Das ist recht romantisch gedacht (und wird auch so geschrieben: „Augen treffen Augen, der Blick bleibt fixiert – und eine Bindung schießt auf, anscheinend von nirgendwoher“, heißt es über den Moment des Verliebens). Und Bauman nennt es selber einen Rückfall in die vormoderne Welt, in der es keine moralischen Vorgaben gibt, einen Schritt aus der konventionsbeherrschten und damit gesicherten Situation in eine der individuellen Verantwortung für den anderen. Eine einsame und ambivalente Lebenssituation, die durch das beständige Gefühl des Ungenügens in ein Leben der Angst und Selbstmißbilligung führt.

Der postmoderne Mensch weicht solchen Situationen gerne aus. Die klassischen postmodernen Lebensformen sind für Bauman der Flaneur, der Spieler, der Vagabund und der Tourist – ungebundene, erlebnisorientierte Lebensstrategien ohne langfristige Verpflichtungen, aber auch ohne Vorgaben, ohne Ziel und Zweck. „Der bestimmende Grundzug der postmodernen Idee vom guten Leben ist das Fehlen einer Bestimmung des guten Lebens“, schreibt Bauman. Die daraus resultierende Einsamkeit und Orientierungslosigkeit des Individuums in der Postmoderne führe zu moralischer Agonie und Angst. Angst vor mangelnder Fitneß, mangelnder Flexibilität und Angst, sein Leben, dessen „Ausbildung“ man mehr denn je in der Hand hat, nicht so großartig zu formen, wie man es sich ausgemalt hatte, Angst also, an seinen eigenen Vorgaben zu scheitern.

Baumans Buch leistet nicht viel mehr (und will nicht mehr leisten), als das Dilemma aufzuzeigen, die Schwierigkeit, die darin liegt, von der Freiheit gerade so viel zu opfern, wie nötig ist, „um die Qual der Unsicherheit erträglich zu machen“. Wo diese Grenze liegt, kann und soll nicht festgelegt werden und ist einem ständig erneuerten Entscheidungsprozeß unterworfen. Eine dumpfe Entscheidung zwischen Universalismus auf der einen und Partikularismus auf der anderen Seite findet Bauman unsinnig. Die Ambivalenz aushalten, keine endgültigen Antworten suchen: Das gute Leben ist immer noch nicht, immer in der Zukunft. Volker Weidermann

Zygmunt Bauman: „Flaneure, Spieler und Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen“. Hamburger Edition, Hamburg 1997, 250 Seiten, 42 DM