Im bösen, alten Süden

■ Walter Mosley holt in seinem "Mississippi Blues" einen Musiker zurück in die Kulturgeschichte: Robert Leroy Johnson - noch eine Legende

Erst mußte Walter Mosley durch seinen Roman-Helden Easy Rawlins bekannt werden. Für Easy Rawlins Ruhm garantierte Denzel Washington in der Verfilmung von „Devil in Blue Dress“, die kommerziell gesehen allerdings eher ein Flop war. Dennoch, die Easy-Rawlins-Saga bescherte Walter Mosley erkleckliche Reputation und Prominenz. So tickt eben der Betrieb: „Mississippi Blues“, ein Roman ohne Easy und kein „Krimi“, konnte in den USA erst 1995 erscheinen, die deutsche Fassung erst jetzt.

Entstanden ist „RL's Dream“, so der Originaltitel, schon in den frühen 90ern, aber ein Roman von einem unbekannten schwarzen Autor über einen schwarzen Bluessänger, der in New York langsam stirbt und sich währenddessen an die Blueslegende Robert Leroy Johnson erinnert, das war dem business doch zu riskant. Hätte man damals, so um 1992 oder 1993, das Buch als Roman über Robert Johnson präsentiert, und zwar auf dem englischen Markt, es hätte alles anders kommen können. Denn Robert Johnson (1911–1938) war das große Idol der britischen Popstars. In ihm vermuteten sie den „authentischen“ Bluessänger per se. Es gibt Hymnen von Keith Richards oder von Eric Clapton über Johnson, britische Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie John Harvey oder Liza Cody kreisen heute noch um RLJ.

Daß Johnson 27 Jahre jung gestorben ist (vermutlich von einem eifersüchtigen Rivalen vergiftet), trägt zur Legendenbildung heftig bei (siehe Jimi Hendrix), genauso wie seine wilden Texte über Tod & Teufel, Sex & Gewalt. Seine spärlich erhaltene Musik, genau 41 Titel inklusive der alternate takes, ist einerseits rauh und ungeschliffen genug, um ihn als „echt“ und „ungekünstelt“ zu qualifizieren, andererseits aber in der Tat musikgeschichtlich substantiell und wichtig für die Entwicklung der (nicht nur schwarzen) populären Musik. Sie markiert den Übergang vom country blues zum urban blues. Dessen Konsequenzen für R & B, Rock etc. sind bekannt. Musiker wie Elmore James mußten Johnsons raffiniertes polyphones Gitarrenspiel nur in eigene Stimmen für Klavier/Orgel, Harmonika, Bläser, Baß und/oder E-Gitarren aufsplitten, um den typischen electric blues sound herzustellen.

Die nervöse Prägnanz und die emotionale Wucht von Johnsons kühnen Texten taten ein übriges. Eine Rennaissance im eigenen Land war dringend fällig. Zumindest für ein breiteres Publikum, das auf die Spezialstudien zu Johnson von Peter Guralnick oder Stephen C. LaVere kaum gestoßen sein wird. Man kann also Walter Mosleys Roman durchaus als das Zurückholen eines bedeutenden schwarzen Musikers in die US- amerikanische Kulturgeschichte verstehen. Er war dort vergessen: Blues-Heroen wie Willie Dixon oder B. B. King beriefen sich bezeichnenderweise immer wieder auf Elmore James, aber nie auf Johnson. Das ist der thematische Teil, der „Mississippi Blues“ zu einem sehr interessanten Buch macht.

Angemessen ist auch die literarische Inszenierung. Mosley unterstreicht den „Legendencharakter“ von Johnson. Die Hauptfigur, Atwater „Soupspoon“ Wise stirbt Ende der achtziger Jahre allmählich an Krebs. Er war ein junger Bluesmusiker aus Cougar Bluff (Ms), der mit Johnson getingelt und für den der Mann mit dem einen Auge und den bösen Texten das große Vorbild gewesen war. Unerreichbar, mit einem düsteren Glorienschein. In Fieberträumen halluziniert sich Soupspoon die bösen, alten Zeiten im bösen, alten, rassistischen Süden zurück, die im modernen New York auch noch nicht vorbei sind. Ausgerechnet eine weiße Frau, auch aus dem Süden, auch mit bösen Erinnerungen an die dumpfe Gewalttätigkeit dieser Provinzen, nimmt sich des heruntergekommenen alten Mannes an, der ihr Großvater sein könnte. Zusammen gelingen ihnen wenigstens fragile Momente eines ebenso fragilen Glücks.

Aber Armut, Suff, Verzweiflung, Sexismus und Rassismus haben ihre Zerstörungskraft nicht verloren. Der böse lächelnde Geist von Johnson ist allgegenwärtig. Man merkt dem Buch deutlich an, daß Mosley damals noch kein routinierter Belletrist war. Im Johnsonschen Sinn beinahe roh stehen nebeneinander: an das Vorbild Jerome Charyn erinnernde Sätze aus dem irrwitzigen Büroalltag in NYC, genau erzählte Genrebilder aus dem Süden, wilde, fiebrige Alpträume von Sex & Gewalt, immer wieder eingestreute Exkurse und Dutzende von Lebensgeschichten und Anekdoten im Stil des talking blues. Ein merkwürdig unzeitgeistiges, faszinierendes Buch. Und wenn Mosleys Bestsellerstern verblaßt sein wird, ist „Mississippi Blues“ ein ästhetisch tragfähiger Anknüpfungspunkt. Thomas Wörtche

Walter Mosley: „Mississippi Blues“. Roman. Aus dem Amerikanischen von Dietlind Kaiser. A. Knaus, München 1997, 349 Seiten, 42,90 DM