■ RAF-Geschichte: Das Verfahren gegen Irmgard Möller schadet bloß
: Keine Aufarbeitung ohne Offenheit

Wer Erfahrungen mit der bundesdeutschen Justiz hat, weiß, daß das Verfahren, das die Staatsanwaltschaft am Landgericht Hamburg jetzt gegen Irmgard Möller eingeleitet hat, nicht die Idee eines einzelnen Juristen ist, der sich so den Wunsch erfüllen will, den viele dieser Tage haben: einmal mit einer Zeitzeugin reden. Wer die Verfahren Revue passieren läßt, die bislang wegen der Behauptung, in Stammheim seien RAF-Mitglieder ermordet worden, geführt wurden, weiß, daß auch dieses Mal ein Einstellungsbeschluß wahrscheinlicher ist als eine Verurteilung.

Trotzdem sollte das Ermittlungsverfahren nicht lächelnd übergangen werden. Es signalisiert, daß die Auseinandersetzung um die RAF, die Aufarbeitung ihrer Geschichte und des „Modell Deutschland“ noch längst nicht Geschichte ist. Und es ist ein Beleg, daß die Staatsgewalt nach wie vor kein Interesse daran hat, die Debatte offen und ohne Vorbehalt zu führen bzw. führen zu lassen. Jeder, der sich nicht die offizielle und von fast allen Medien in den letzten Wochen präsentierte Version der Ereignisse in der Todesnacht vom 17. auf den 18. Oktober zu eigen macht, wird eben immer noch mit Gefängnis bedroht. Das Ermittlungsverfahren gegen Irmgard Möller, die ihre Meinung gegen die Staatsversion setzt, ist nur ein Strang in den Bemühungen, anstatt eine öffentliche Aufarbeitung zuzulassen, die Bestätigung der Maßnahmen des starken Staates damals zu organisieren.

Mindestens ebenso wirkungsvoll ist es, die Quellen, aus denen Erkenntnisse geschöpft werden könnten, zu verschließen. Nach wie vor sind die Archive des Krisenstabes und die Protokolle der Abhöraktionen in den Stammheimer Zellen nicht zugänglich. Nach wie vor sitzen Gefangene, die wichtige Auskünfte geben könnten und auch bereit wären zu sprechen, in Hochsicherheitstrakten. Alle Journalisten, die in den letzten Monaten versucht haben, mit Christian Klar oder Brigitte Mohnhaupt zu reden, sind – egal, von welchem Medium sie kamen – von Knästen, Justizministerien und Strafvollstreckungskammern an den Gerichten abgewiesen worden.

Die Interessen des Staates und seiner Justiz mögen zu kritisieren sein – nachvollziehbar sind sie. Etwas irritierend bleibt hingegen, daß die Öffentlichkeit selbst, deren Informationsmöglichkeiten hier so routiniert beschnitten werden, dies mit großer Gelassenheit und ohne Proteste hinnimmt und debattiert, als hätte sie schon alles erfahren können, was sie wissen wollte. Oliver Tolmein

Freier Publizist und Autor eines Interviewbuches mit Irmgard Möller