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Paranoia in Weißrußland

Die Liste der Feinde von Präsident Lukaschenko wird immer länger. Jetzt sind private Unternehmer dran  ■ Aus Minsk Barbara Oertel

Ein junger Mann und seine Freundin stürzen im Trolleybus Nummer 30 auf eine Frau zu. „Angelina Masnota, Weißrussisches Helsinki-Komitee für Menschenrechte, Beobachter“ steht auf einem kleinen Schild, das sie an ihre Jacke geheftet hat. „Wir werden verfolgt. Was sollen wir tun?“ flüstert der junge Mann voller Angst. „Fahren Sie irgendwohin, aber bloß nicht nach Hause. Hier ist meine Telefonnummer. Rufen Sie mich heute abend an“, sagt Angelina Masnota.

Dann geht alles sehr schnell. Zwei Männer in Lederjacken springen in den Bus, es kommt zu einem Handgemenge. Drei Fahrgästen gelingt es, die beiden aus dem Bus zu stoßen. „Machen Sie die Tür zu, schnell“, schreit jemand. Der Bus fährt los, ein roter Wagen folgt ihm. An der nächsten Haltestelle, in der Nähe des Bahnhofs der weißrussischen Hauptstadt Minsk, geht die Menschenjagd weiter. Diesmal kommen die Schläger durch die Mitteltür und zerren ihre Opfer auf die Straße. Ein Fluchtversuch endet 100 Meter weiter in einem Hauseingang.

Angelina Masnota kennt das Szenario. „Das ist nach jeder Demonstration so. Sie warten, bis sich die Leute zerstreut haben, dann schlagen sie zu, meistens bei jungen Leuten. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob sie an der Kundgebung teilgenommen haben.“

Kurz zuvor hatte in Minsk wieder einmal eine Demonstration stattgefunden. Rund 2.000 Menschen, unter ihnen viele Anhänger der oppositionellen Weißrussischen Volksfront (BNF), waren durch den Stadtteil Serebrjanka, ein Arbeiterviertel, gezogen. Unter Rufen wie „Es lebe Weißrußland!“ und „Heimat, Freiheit und nieder mit Lukaschenko“ hatten sie – einige in Häftlingskleidung – gegen Armut und Unterdrückung demonstriert. Als gegen Ende des Protestmarsches eine Puppe, ein Dinosaurier, in Flammen aufgegangen war, hatte die Miliz zum ersten Mal eingegriffen.

Während die Schergen des weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko, die meistens Mitglieder seines patriotischen Bündnisses sind und „Lukamolzen“ (auf deutsch „Luka-Jugend“) genannt werden, ihre Tätigkeit gerne im Verborgenen erledigen, ziert sich Diktator Lukaschenko bei anderen Kritikern weniger. Zweieinhalb Monate saß der Korrespondent des russischen Fernsehsenders ORT, Pawel Scheremet, im Gefängnis, bevor er Anfang vergangener Woche freikam. Sein Vergehen: Er hatte an der weißrussisch-litauischen Grenze für eine Reportage recherchiert. Die Freilassung erfolgte wohl nur deshalb, weil dem russischen Präsidenten Boris Jelzin wenige Tage zuvor endgültig der Kragen geplatzt war. Einem Kurzbesuch Lukaschenkos bei den „roten“ Gouverneuren in den nordrussischen Gebieten Lipetzk und Jaroslawl setzte Jelzin kurzerhand ein Ende, indem er Lukaschenko die Einreise per Flugzeug verweigerte. In einem Telegramm ließ er seinen Konterpart wissen: Erst kommt Scheremet frei.

Daß das Einlenken im Fall Scheremets an Lukaschenkos hartem Kurs nicht das Geringste ändern wird, beweist das neue Pressegesetz, das derzeit im Parlament beraten wird. Darin heißt es unter anderem, daß Journalisten für die Verbreitung von Informationen, die die Ehre, Würde und Amtsreputation des weißrussischen Präsidenten verletzen, zur Verantwortung gezogen werden können. Am kommenden Wochenende wollen Journalisten gegen das Gesetz, dessen Verabschiedung im präsidentenhörigen Parlament als sicher gilt, auf die Straße gehen. „Es wird wieder massenhaft Verhaftungen und Geldstrafen geben“, sagt Dimitri Bondarenko von der Stiftung zur Verteidigung der unabhängigen Presse. Und Jekaterina Wysotskaja, Chefredakteurin der oppositionellen Zeitung Imja, ist sich sicher: „Dann werden sie uns den Laden wohl endgültig zumachen.“

Doch nicht nur die schreibende Zunft hat Lukaschenko im Visier. Dem Theater „Svobodnaja Zena“ („Freie Bühne“), das das Brecht- Stück „Arturo Ui“ aufgeführt hatte, wurde jetzt der Vertrag für das Gebäude gekündigt. Seit neuestem sind auch die wenigen privaten Unternehmer und Banker zu bevorzugten Feinden des paranoiden Staatspräsidenten avanciert.

Als der Vorsitzende des staatlichen Kontrollkomitees des Mogilower Gebiets und Parlamentsabgeordnete Jewgeni Mikolutzki kürzlich im Treppenhaus seines Wohnhauses von einer Bombe zerfetzt wurde, holte Lukaschenko am Sarg seines Freundes zum Rundumschlag gegen die Unternehmer aus, die seiner Meinung nach hinter dem Anschlag stehen: „Meine Herren, Ihnen wird der Boden unter den Füßen kochen“, polterte er. „Sie haben jetzt zehn Tage Zeit, um Ihre Rechnungen mit dem Staat zu begleichen und Ihre Schulden zu bezahlen. Danach werden wir nicht mehr lange nach Beweisen suchen.“

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