„Es gibt keine ethnischen Konflikte bei uns“

■ 30.000 Menschen sind aus Brazzaville ins benachbarte Kinshasa geflohen. Der Streit um Kongos Öl gilt als eine der Ursachen des Kriegs

„Wir reden hier nicht über Politik, das dürfen wir nicht“, sagt Maurice. „Wir sind hier nur Gäste.“ Maurice war einmal Lehrer in Brazzaville. Heute ist der Mittvierziger Chef des Flüchtlingslagers Kinkole, 20 Kilometer nördlich von Kinshasa in der benachbarten Demokratischen Republik Kongo. Über 30.000 Flüchtlinge aus Kongo-Brazzaville sind hier untergebracht. Täglich kommen neue.

„Wir wollen unseren Konflikt nicht in unser Nachbarland tragen“, betont Maurice. „Schließlich sind auch im Lager Flüchtlinge von beiden Seiten.“ Meist unter Beschuß der rivalisierenden Milizen und nur mit dem Nötigsten unter dem Arm mußten sie ihre Häuser in Brazzaville verlassen und den Kongo-Fluß in die 5-Millionen- Metropole Kinshasa überqueren. Selbst hierher dringt immer wieder der Gefechtslärm aus der umkämpften Nachbarstadt.

Maurice schildert die alltäglichen Überlebensprobleme: Die Seuchengefahr sei akut, aber derzeit werde das Lager mit blauen Zeltplanen des UN-Flüchtlingshilfswerks ausgebaut. Zudem gäbe es nun auch Möglichkeiten, Sport zu treiben. Nur der Schulunterricht dürfe nicht vor Anfang nächsten Jahres anfangen. Dann jedoch wird sein Ton schärfer und wendet sich gegen die gastgebende Regierung in Kinshasa: „Vorletzte Woche wurden 46 Landsleute verhaftet – ebenfalls Flüchtlinge. Wir haben uns an die Presse in Kinshasa gewandt.“ Mit Erfolg. Bis auf vier sind alle wieder frei. „Es waren Soldaten, die den Bürgerkrieg satt hatten. Sie gaben aber ihre Waffen ab und machten ihren Status öffentlich bekannt.“

Momentan diskutieren die Flüchtlinge, ob sie einen Hungerstreik beginnen sollen. Doch eigentlich wolle man gar nicht im Lager bleiben, viel zuviel habe man darüber gehört, wie die Männer des kongolanischen Machthabers Kabila mit Flüchtlingen umgehen. Maurice spielt damit auf die Berichte über Massaker an Hutu- Flüchtlingen aus Ruanda an.

Deshalb, so der Lagerchef, vermeide man hier jedes politische Wort. Jeden abend kämen Soldaten. Und die respektierten das Eigentum der Flüchtlinge nicht. Im Gespräch bekommt Maurice einen Zettel zugereicht: Noch eine Beschwerde über Diebstahl und Einschüchterung.

„Der ganze Krieg ist sinnlos“, meint ein alter Mann namens André, ebenfalls Flüchtling. Es gebe ja keine ethnischen Konflikte in Kongo-Brazzaville, alle seien sie Kongolesen. Doch die seit 1992 bereits zweimal blutig ausgetragenen Konflikte zwischen den drei Hauptkontrahenten – dem 1992 gewählten Präsidenten Pascal Lissouba aus dem Süden des Landes, dem Ex-Präsidenten Denis Sassou-Nguesso aus dem Norden und dem derzeitigen Premierminister Bernard Kolelas – haben Spuren hinterlassen. Nach der Kriegsrunde von 1994 siedelte sich die einst bunt gemischte Bevölkerung Brazzavilles nach ethno-regionalen Kriterien in getrennten Stadtvierteln an. Aber wie solle man sich bei den, wie André sagt, „widernatürlichen Allianzen“ der Parteiführer zurechtfinden, die sich im Laufe des Konflikts ergaben? Erst Lissouba gegen Kolelas und Nguesso, dann Lissouba und Kolelas versus Nguesso.

Früher waren die Fronten klarer: Der Norden dominierte den Süden. André will nicht sagen, wen er denn bei den ersten freien Wahlen 1992 gewählt habe. Er sagt nur, daß es nicht Lissouba war. Doch habe er damals dessen Rolle nicht negativ gesehen. Andrés Affinität ist klar: Er kommt aus Bacongo, der Region direkt um Brazzaville, wo Premierminister Bernard Kolelas seine Hochburg hat.

„Lissouba hat nichts für uns gemacht“, erklärt André seine politische Haltung. „Wohin sind etwa die Öleinnahmen geflossen?“ Damit spielt er auf die 1993 nachverhandelten Verträge mit dem französischen Elf-Konzern an, der den Großteil der Ölförderung im Kongo betreibt. „Damals gab es richtig Ärger mit Frankreich“, erinnert sich André. Denn Lissouba brach das Monopol von Elf, öffnete die kongolesischen Ölfelder für US-amerikanische Firmen und handelte die Knebelverträge mit Elf aus Sassou-Nguessos Zeit neu aus: Statt nur 17 Prozent der Einnahmen aus dem Ölverkauf behielt Kongo nun 33 Prozent. Es sei also nicht ausgeschlossen, daß die Ölfrage den heutigen Konflikt bestimme: Frankreich mit Elf als Protektor Nguessos und als sein mutmaßlicher Waffenlieferant versus die USA.

Bernard Kolelas, dem Andrés Loyalität gilt, war früher Bürgermeister von Brazzaville und galt bis zuletzt als Vermittler zwischen Lissouba und Sassou-Nguesso. Im Juli machte Präsident Lissouba ihn zum Premierminister. Statt die für den 27. Juli angesetzten Präsidentschaftswahlen abzuhalten, ließ Lissouba sein Mandat von einem Verfassungsrat ab dem 31. August um drei Monate verlängern. Das erkannte Sassou-Nguesso nicht an. Alle Vermittlungsbemühungen, durch Gabun oder die UNO oder Kongo-Kinshasa, liefen ins Leere, es begann die militärische Lösung des Machtkampfes.

Das war bei den letzten Kämpfen 1994 anders: Ein regionales Friedensforum fand eine Kompromißformel zwischen den rivalisierenden Politikern. Aber die mangelhafte Umsetzung des damaligen Paktes enthielt den Sprengstoff für den diesjährigen Bürgerkrieg: Die Milizen wurden nicht entwaffnet und aufgelöst. „Wenn keine Entwaffnung vor den Wahlen stattfindet, bricht der Konflikt wieder los“, prophezeite schon Ende 1995 der deutsche Botschafter in Brazzaville, Adolf Ederer, gegenüber der taz. Brazzaville blieb hochgerüstet und bei jedem kleinsten Problem bereit zu explodieren. Die Explosion erfolgte am 5. Juni, als Regierungstruppen Sassou-Nguessos Residenz umstellten.

André bestätigt, daß es in Brazzaville viel zu viele Waffen gab. Die normalen Leute hatten keine Waffen und kein Geld, die Milizen hatten Geld und Waffen. Und seiner Meinung nach ist es allein das Geld, das die Menschen kämpfen läßt.

André kam einige Tage nach dem 5. Juni von einer Reise zurück nach Brazzaville, fand sein Haus und einen Sohn und brach mit diesem sofort nach Kinshasa auf. Über den Verbleib seiner restlichen Familie weiß er nichts. Die Bewohner Brazzavilles, die nicht über den Fluß ins Nachbarland flohen, gingen ins Landesinnere. Und dort wird weitergekämpft. Daniel Stroux, Kinshasa