Warten auf den Leithammel

Mit einer zentralen Verkehrsleitanlage sollen die Blechlawinen in und um Berlin gebändigt werden. Fraglich ist, ob dadurch auch Verkehr vermieden wird ■ Von Matthias Fink

Wer auf Westtangente, Avus oder Stadtring hängenbleibt und die schwarzrotgelben S-Bahnen vorbeibrausen sieht, denkt schon mal über seine Verkehrsmittelwahl nach. Aber trotz der guten Vorsätze wird er kaum sofort den nächsten S-Bahnhof ansteuern. Wo liegt der überhaupt? Kann man dort parken?

Planmäßigere Hinweise könnten mehr fruchten. Kurz vor München etwa steht auf der von Berlin kommenden Autobahn A 9 eine Verkehrsbeeinflussungsanlage, die zum Umsteigen auffordert. Wenn auf der Autobahn Stau droht, wird auf den verstellbaren Schildern der Weg zu einem nahen U-Bahnhof gewiesen. Der große Park-and-Ride-Platz, der sich dort befindet, wird ebenso erwähnt wie der Fahrtakt der U-Bahn und die Fahrtdauer ins Stadtzentrum.

Verkehrsleitsysteme können letztlich den Straßenverkehr vermindern. Wer per Handy empfohlen bekommt, lieber die U-Bahn zu benutzen, ist womöglich noch stolz darauf, das Auto stehen zu lassen. Und mancher Auto-Narr würde brav aufs Bremspedal treten, wenn die Tempo-Vorgabe von einer supermodernen Verkehrsbeeinflussungsanlage käme.

Die Verkehrslenkung begann schon 1924 mit dem bekannten Verkehrsturm am Potsdamer Platz. Rund 1.850 funktionierende Lichtsignalanlagen gibt es heute in der Stadt, vernetzt durch ein „rechnergestütztes Betriebsleitsystem“. Es hat in der Polizeikaserne an der Kreuzberger Friesenstraße seinen Sitz. Hier könnte man auch die geplante Verkehrs-Informations- Zentrale ansiedeln, meint Udo Korgitzsch von der Abteilung Verkehrsplanung bei der Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr. Die Informationsnetze von BVG, Taxi-Unternehmen, Wirtschaftsverkehr und anderen würden mit dem Polizei-Rechner verknüpft. Verschiedene Informationsdienste könnte man darauf aufbauen.

Auf den Autobahnen wird schon jetzt der Verkehr elektronisch gemessen und kollektiv beeinflußt. Einzelne Spuren können gesperrt, vor allem aber Geschwindigkeiten verordnet werden. In Berlin gibt es bislang drei solcher Anlagen. Am ersten Brandenburger Abschnitt, auf dem Berliner Ring zwischen den Autobahndreiecken Werder und Drewitz, stehen die Anlagen schon auf 20 Kilometer Länge. „Bei Bedarf können damit am Dreieck Drewitz die Schilder umgestellt werden“, erklärt Udo Korgitzsch. Der Weg nach Berlin hinein führt dann nicht – wie normalerweise für zwei Drittel der Autoreisenden – über die Avus. Statt dessen werden die Ortsunkundigen motiviert, das zu tun, was vor zehn Jahren streng verboten war. Sie sollen geradeaus weiterfahren, wo es früher zur „Hauptstadt der DDR“ ging.

Solche Tricks sollen demnächst zentral gesteuert werden, in der Verkehrsleitzentrale für Berlin und Brandenburg. Die Anlage, die alle Autobahnen in den beiden Ländern überwacht, entsteht im ehemaligen DDR-Kontrollpunkt Stolpe, nordwestlich von Berlin. „Im April 1998 wird sie in Betrieb gehen“, kündigt Korgitzsch an.

Ein weiterer Grundstein wäre das „dynamische Verkehrsleitsystem“, das in Berlin bisher als Versuchsmodell läuft. Es registriert den innerstädtischen Verkehr und informiert zugleich den Menschen hinterm Steuer. Sender und Empfänger außerhalb des Wagens sind in Infrarotanlagen am Straßenrand untergebracht. 600 Berliner nehmen an dem Versuch teil, der als „individuelle Verkehrsbeeinflussung“ promotet wird.

Die „Mobilitätsinitiative Berlin- Brandenburg“ möchte die einzelnen Ansätze zusammenführen. Hier ist der „Forschungs- und Anwendungsverbund Verkehrssystemtechnik Berlin“ (FAV) federführend. Die Technischen Universitäten Berlin und Cottbus, Daimler-Benz, ADTranz und Siemens arbeiten mit. Senatsverwaltungen und Brandenburger Ministerien sind ebenso dabei wie BVG, S- Bahn, Deutsche Bahn und die Firma StattAuto. Die Initiative bewirbt sich mit zwölf anderen Konkurrenten um die Teilnahme am Forschungsprojekt „Mobilität in Ballungsräumen“, das vom Bundesforschungsministerium gefördert wird. Zu den Planungen der Berliner gehören Info-Terminals in Eisenbahnen. „Im ICE von Hannover nach Berlin können dann die Leute ihre Anschlüsse in Berlin erfahren, aber auch Theatertips bekommen“, erklärt Axel Sanne, Leiter des FAV. In Bahnhöfen will man City-Mobile und ähnliche Beförderungsmittel anbieten. Längerfristig anvisiert ist ein „Mobilitätsprovider“, der den Kunden die Wahl zwischen den motorisierten Verkehrsmitteln leichter – oder schwerer – macht. Er sagt ihnen, wie und wo sie am besten vorankommen können und kann ihnen sogar reizvolle Umwege ans Herz legen.

Wenn auf diesem Wege Tourismus angeregt wird, kann allerdings von Verkehrsvermeidung keine Rede mehr sein. „80 Prozent des Verkehrs, den Deutsche produzieren, ist Freizeitverkehr“, gibt Wolfgang Heinze , Professor für Verkehrswirtschaft und Verkehrspolitik an der Technischen Universität Berlin, zu bedenken. „Kurzreisen und spontane Reisen rücken vor. Auch Fernverkehr bedeutet Druck auf den Nahverkehr.“ Verkehrsleitsysteme könnten den Verkehr sowohl steigern als auch vermeiden helfen. „Es ist wie mit einem Messer. Das hilft den Menschen, notwendige Dinge zu zerkleinern, aber man kann auch einen Menschen damit töten.“

In der BRD leben rund 14 Millionen Personen in Haushalten ohne Auto. Warum nicht speziell für diese Bevölkerungsgruppe Neubauwohnungen planen? Zwei konkrete Planungsgebiete gibt es in Berlin. Beide, das ehemalige Schlachthofgelände in der Eldenaer Straße (Prenzlauer Berg) und die frühere Geisterstadt der US- Army in Lichterfelde, liegen direkt an S-Bahn-Strecken. Ende März 1998 sollen die Projekte die nächste Hürde nehmen, dann werden die Ergebnisse eines Realisierungs-Wettbewerbs bekanntgegeben.

Auch neue Arbeitswelten und Multimedia können Verkehr vermeiden helfen. Im Bereich der Telearbeit sieht etwa Professor Heinze besondere Einsparpotentiale. Jobs, bei denen man nur zweimal die Woche außerhalb der Wohnung sein muß, seien in dieser Hinsicht zu empfehlen.