■ Ökolumne: Wer darf essen? Von Peter Rottach
Bischof Gitari zeigt sich spendabel. Er drückt jedem Kind eine Fünf-Shilling- Note in die ausgestreckte Hand. Schließlich sollen ja wenigstens am Tag seines Besuchs alle genug zu essen haben. Nicht jedes Kind vom kenianischen Stamm der Turkana freilich hatte Lust auf Almosen, noch weniger auf Mais und Hirse. Einige Hütten vom Bischof entfernt wird nur flüchtig verborgen, was den Konsumpräferenzen der Turkana-Jugend entspricht: Kaugummi und Cola. So schlecht, kommt dem stutzig gewordenen Besucher da in den Sinn, kann es der ärmsten Bevölkerungsschicht Kenias doch gar nicht gehen.
Die vom bischöflichen Besuch beehrte Gruppe der Turkana gehörte ursprünglich zu einem Stamm halbnomadischer Viehhalter. Jahrhundertelang haben die Turkana ihre Rinder gegen das Getreide der Ackerbauern im Süden gehandelt. Seit einigen Jahren freilich ist dieser Handel völlig aus dem Lot geraten. Die Bauern im Süden ziehen es vor, qualitativ hochwertiges Fleisch aus dem Ausland zu beziehen. Das Geld dafür bekommen sie aus dem Verkauf von Blumen oder Gemüse, womit die Tische der Reichen im hohen Norden gedeckt und geschmückt werden. Für die Turkana eine verzweifelte Situation: Sie bleiben auf ihrem Vieh sitzen, und so fehlt ihnen das nötige Kleingeld, um Grundnahrungsmittel zu kaufen.
Wenn es um den Hunger in der Dritten Welt geht, setzen viele Politiker hierzulande eine besorgte Miene auf. Sie verweisen auf das Bevölkerungswachstum und den Zwang, höhere Erträge auf schrumpfenden landwirtschaftlichen Flächen zu erzielen. Die Gentechnik, beim Verbraucher verpönt, wird fast wie ein Wundermittel zur Rettung von Millionen Hungernden gehandelt. Argumenten, daß es mehr als genug Lebensmittel für alle gäbe und neue Technologien noch nie soziale Ungerechtigkeit beseitigt hätten, wird mit dem Ruf nach marktwirtschaftlichen Reformen und Freihandel begegnet. Nur sie könnten die Armut beseitigen und Kaufkraft für die Armen und Bedürftigen schaffen.
Und in der Tat: Indien, das Musterbeispiel für ertragssteigernde Anbautechnologien, ist mittlerweile zum weltweit zweitgrößten Reisexporteur geworden. Doch gleichzeitig leben 400 Millionen Inder am Rande oder unterhalb des Existzenzminimums. Der Markt, so wird deutlich, hat kein soziales Bewußtsein. Wer ihn dem freien Spiel der Kräfte überläßt, riskiert, daß die Kraftlosen, die sozial Benachteiligten, auf der Strecke bleiben. Hinzu kommt, daß der Weltmarkt keineswegs eine neutrale, unbelastete und allen Menschen in gleicher Weise zugängliche Spielwiese darstellt.
Im marktwirtschaftlichen System ist Nahrung nur dann von Interesse, wenn sie auch gehandelt wird und Profit erwirtschaftet. Eigenproduktion, informelle Tauschwirtschaft oder das Sammeln von Lebensmitteln in der natürlichen Flora und Fauna, wie das in vielen marginalen Gebieten der Dritten Welt üblich ist, haben in dieser Logik keinen Platz und werden systematisch destabilisiert.
Im Sinne einer sozialen Gerechtigkeit, die allen Menschen das zum Leben gibt, was notwendig ist, sind Globalisierung der Wirtschaft und Liberalisierung des Handels kontraproduktiv. Statt dessen brauchen wir eine Art sozialer Marktwirtschaft für den Welthandel, die Einführung verbindlicher Regeln, die die Wahrung sozialer und ökologischer Gesichtspunkte garantieren.
Unsere Art des Umgangs mit den natürlichen Ressourcen kann und darf kein Vorbild für den Süden sein. Wenn unsere westliche Lebensweise von 1,3 Milliarden Chinesen und bald ebenso vielen Indern übernommen wird, ist nicht nur der globale Ökokollaps unausweichlich, sondern auch die sozialen Ungleichgewichte werden noch verheerendere Ausmaße annehmen. Schon jetzt wirft der steigende Fleischkonsum in beiden Ländern dunkle Schatten auf die Importchancen armer afrikanischer Staaten. Getreideimporte werden einfach zu teuer für hungernde Arme.
Von Mombasa, dem wichtigsten Handelshafen Kenias, bis ins Turkana-Gebiet sind etwa 1.000 Kilometer zurückzulegen. Zu bestimmten Jahreszeiten sind die Verkehrswege unpassierbar. Das traditionelle System der Ernährungssicherung war den Verhältnissen optimal angepaßt. Heute sind fast 50 Prozent der Kinder unterernährt. Das hat auch mit dem Siegeszug von Kaugummi und Coca-Cola zu tun.
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