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■ Bonn apartDrei Arbeitslose und drei Fässer

Stellen wir uns vor: Drei Arbeitslose kommen ins Bonner Regierungsviertel und begehren den Arbeitsminister zu sprechen. Sie sind, sagen sie dem freundlichen Herrn an der Pforte, von der Arbeitssuche vergiftet und stellvertretend für viermillionendreihundertachttausendsiebenundneunzig Menschen hier. Sie strahlen, fahren sie fort, auf ihre Umwelt nur Mißmut aus und stecken ihre Mitmenschen mit Verzweiflung an.

Stellen wir uns also vor: Die Personen X, Y und Z stehen vor dem Kanzleramt, ein, zwei, drei Minuten – dann kommt die Polizei und schickt sie nach Hause. Niemand im Regierungsviertel merkt etwas. Lediglich ihre Familien bekommen von dem Besuch Wind – die Strafbefehle wegen Verletzung der Bannmeile sind ins Haus geflattert.

Den drei gelben Fässern, die in dieser Woche über den Rhein nach Bonn geschippert kamen, blieb ein solch trostloses Schicksal erspart. Auf dem Vordeck eines Schiffes namens „Beluga“ brauchten sie nichts weiter zu tun, als einfach zu sein. Um alles andere kümmerten sich die Mitarbeiter der Umweltorganisation Greenpeace. Sie informierten die Presse, legten die „Beluga“ an einem Anleger im Regierungsviertel an und sandten Umweltministerin Merkel die Botschaft, sie möge doch bitte persönlich vorbeikommen und nach der brisanten Fracht schauen.

Die drei Fässer hatten eben Glück. Sie enthielten schwach radioaktiv verseuchten Sand aus der französischen Wiederaufbereitungsanlage „La Hague“. Und darum kümmert sich in Deutschland bekanntlich immer jemand. Zwar nicht die Ministerin selbst, die war an diesem Tage nicht in Bonn. Dafür kamen drei Feuerwehrfahrzeuge und ein Auto von der Polizei. Der Anleger mit rotweißem Band wurde von zahlreichen Kamerateams und anderen Schaulustigen abgesperrt. Ein Polizeisprecher stand für Fragen bereit. Die Feuerwehr überprüfte den Strahlengehalt der Fässer. Und fünf Stunden später maß ein Beamter des Amtes für Arbeitsschutz, der war extra aus Düsseldorf herbeigeeilt, noch einmal nach. Gegen Abend trugen die Feuerwehrleute die Fässer an Land. Mit einem Sicherheitstransporter wurden sie ins Kernforschungszentrum Jülich transportiert – über mangelnde Aufmerksamkeit konnten sich die drei Fässer nicht beklagen! Dabei hätte man den Eindruck haben können, daß sie, so dicht umringt von Greenpeace-Mitarbeitern, Feuerwehrleuten, Polizisten, Behördenmitarbeitern und Journalisten, gar nicht so gefährlich waren.

Stellen wir uns vor: Arbeitslose könnten strahlen. Markus Franz

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