„In fünf Jahren bessere Zeiten“

■ Peter Dussmann, der Ende des Monats sein Kulturkaufhaus an der Friedrichstraße eröffnet, sieht für den Standort noch eine lange Durststrecke. Gesetzliche Ladenschlußzeiten hält er für „antiquierten Mist“

taz: Wie kommt man auf die Idee, jetzt an der Großbaustelle Friedrichstraße ein Kulturkaufhaus aufzumachen?

Dussmann: Wir haben das Kulturkaufhaus aus der Not heraus gegründet, weil wir unsere Hauptverwaltung in der Friedrichstraße gebaut haben und dann feststellten, daß die Ladenflächen nicht zu vermieten waren. Da ist auch ein bißchen Hobby dabei, weil ich im Einzelhandel unter anderem in einer Buchhandlung gelernt habe. Für uns ist das Kulturkaufhaus natürlich auch nicht das Hauptgeschäft. Es macht zwei Prozent unseres Gesamtvolumens aus. Deswegen können wir uns auch ein paar Jahre Verlust erlauben.

FNAC ist 1995 mit einem Kulturkaufhaus gescheitert, inzwischen ist der Markt nicht einfacher geworden. Hugendubel ist da, und Kiepert kooperiert mit Wegert. Warum rechnen Sie sich mit dem FNAC-Konzept jetzt Erfolg aus?

Die Voraussetzungen sind andere als bei FNAC. Die haben zugemacht, weil ihre Bank den neuen Besitzern eine Stillegungsprämie gezahlt hat, die höher war als zukünftige Gewinne. Dabei war FNAC mit vierzig Millionen Mark Umsatz kurz davor, schwarze Zahlen zu schreiben. Wegen des kurzfristig möglichen Profits wurden langfristige Möglichkeiten aus der Hand gegeben. Das war, so muß man wohl sagen, die häßliche Seite des Kapitalismus.

Der Markt in der Friedrichstraße muß sich aber erst noch entwickeln.

Die Friedrichstraße hat noch eine Durststrecke von fünf Jahren vor sich. Erst dann kommen bessere Tage. Ich rechne natürlich mit dem Zuzug der Bundesregierung und damit, daß sich die Stadtmitte richtig bevölkern wird. Es kommen die Botschaften, die Verbände und deren Zulieferer. Das sind schon etliche zehntausend Menschen mit guten Gehältern. Die lassen Geld in der Stadt, kaufen ein, gehen in Restaurants, sind Multiplikatoren, weil sie wieder Gäste aus dem Bundesgebiet haben. Jeder, der sich hier etabliert, schafft auch ein Umfeld. Das bringt dann auch Geld in die Stadt. Nirgendwo in der Stadt gibt es auch so ein kulturelles Umfeld mit etlichen Opernhäusern, Theatern und Museen.

Was wollen Sie anders machen als FNAC?

Wir wollen uns nicht mit FNAC vergleichen. Die hatten ein anderes Angebot, beispielsweise Fernseher. Wir wollen dagegen nur alle Medien anbieten, die auf dem Markt sind, neben Büchern auch Schallplatten, CD-Rom, Video und Computer-Software. Dann soll es Veranstaltungen, Ausstellungen, Lesungen, Theater und Konzerte geben, um Leben in das Haus zu bringen.

Außerdem ist die Friedrichstraße eine bessere Lage als die Meinickestraße. Wir betonen auch den Dienstleistungsgedanken und stellen nur wenige Fachverkäufer ein, dafür viele, die aus dem Kulturbereich kommen. Schließlich gibt es viele Beschäftigte aus Museen, Opern oder Kultureinrichtungen. Die verstehen was von Kultur und sind noch nicht so sehr vom Einzelhandel geprägt.

Abgewickelte statt Fachverkäufer – weil die billiger sind?

Nein. Wir werden natürlich die Gehälter bezahlen, die hier in der Stadtmitte üblich sind.

Es hieß anfänglich, sie wollten 24 Stunden offen sein.

Das wird es nicht geben. Wir müssen uns an die gesetzlichen Ladenschlußzeiten halten, obwohl ich für diesen antiquierten Mist kein Verständnis habe. Gegen die Veränderung sträubt sich eine Koalition der Faulenzer aus Funktionären des Einzelhandels und der Gewerkschaften. Im Dienstleistungsbereich, in Krankenhäusern und Altenheimen, da müssen wir 24 Stunden am Tag und sieben Tage pro Woche für die Menschen da sein. Deswegen lachen wir über die Ladenschlußzeiten, die auch negative Folgen für unsere Beschäftigten haben. Wir werden achtzig Leute in unserem Haus haben, davon etwa dreißig Halbtagskräfte. Wenn der Ladenschluß bei 22 Uhr läge, würden daraus Vollzeitkräfte.

Ist man im Ost- und Westteil der Stadt auf die neuen Zeiten eingestellt?

Es gibt noch Mentalitätsunterschiede, aber die östliche Mentalität ist für mich positiver als die westliche Einstellung. Im Osten herrschen noch mehr die typisch deutschen Tugenden: die sind freundlich, zuverlässig und arbeitssam. Da ist dies westliche Denken noch nicht durchgedrungen, daß man viel krank macht, viel Urlaub macht und wenig arbeitet. Ich habe gerade zwei Bewerbungen abgelehnt, weil die Bewerber 36 Tage Urlaub haben wollten – die waren aus Westberlin. Irgendwo ist doch eine Grenze.

Im Osten ist man noch mehr auf dem Boden, ist bescheidener, will noch was beweisen und ist tüchtiger. Als wir hier in Berlin mit unser Hauptverwaltung anfingen, waren Ost und West je zur Hälfte vertreten. Jetzt kommen fast neunzig Prozent unser Mitarbeiter aus dem Osten.

Industriestadt wird Berlin nie wieder werden – dafür Dienstleistungsmetropole?

Das ist ein Zeitprozeß wie alles andere auch in Berlin. Die Dienstleistung ist jedenfalls die einzige Chance für diese Stadt. Wir leben in einem Umwandlungsprozeß, und da ist die große Palette der Dienstleistungen ein Bereich, der neue Arbeitsplätze schafft. Wenn der Senat die richtigen Weichen stellt, dann wird Berlin in zehn, zwanzig Jahren einiges an Dienstleistungen entwickeln, zumal wir in Deutschland einen Nachholbedarf gegenüber anderen Staaten haben.

Was sind die richtigen Weichenstellungen?

Daß man nicht nur Industrieansiedlungen befürwortet und subventiniert. Man muß viel mehr Jungunternehmer motivieren, beispielsweise in den Bereichen Software und Kommunikation. Aus vielen kleinen Samen entstehen Bäume.

Das ist viel Hoffnung, gesetzt auf einen Senat und eine große Koalition, die wenig bewegen.

Das ist typische Berliner Wehleidigkeit. Verglichen mit der Bundesregierung bringt der Senat doch einiges vorwärts. Es wird in Berlin viel mehr privatisiert als anderswo. Damit werden Kosten gespart, was einer Firma wie der unserigen und damit auch dem Dienstleistungssektor wieder mehr Marktchancen gibt. Wo steht denn geschrieben, daß alle öffentlichen Dienstleistungen von der Stadt durchgeführt werden müssen?

Wenn der Staat wirtschaftliche Leistungen übernimmt, dann ist er immer teurer und schlechter als private Unternehmer. Da bin ich in Berlin sehr zufrieden; auch wie die SPD dabei ist und die Finanzsenatorin sehr dynamisch Dinge vorwärts treibt, um Geld zu sparen. Da ist man hier der Bundesregierung einiges voraus.

Gibt es neben der Wehleidigkeit auch Positives in Berlin?

Positiv sind die Offenheit und daß man aufeinander zugeht. Dieser multikulturelle und über politische Grenzen hinausgehende Dialog, der hier vorhanden ist, das ist das Besondere an Berlin. Berlin ist offener und vorurteilsfreier, man hört einander zu und redet miteinander. Das ist das ganze Gegenteil von München. Dort bin ich in dreißig Jahren nicht in das Kartell der Alteingesessenen eingebrochen. In München muß man sich immer alles erkämpfen. Das gilt auch für das Geschäft. 1990 hatten wir in Berlin einen Jahresumsatz von 12 Millionen Mark. Jetzt sind es fast achtzig Millionen Mark. In derselben Zeit sind wir in München nur um rund zwanzig Millionen Mark gewachsen.

Interview: Gerd Nowakowski