Katz und Maus auf dem Alex

Polizeistreifen auf dem Alexanderplatz sorgen für Zurückhaltung beim Schnorren. Obdachlose und Punks betteln nur noch in Kleingruppen oder suchen sich andere Plätze  ■ Von Tilman Weber

„Ich bin hier nur selten.“ Der Mann im grünen Parka und den gepflegten Bluejeans zieht nach einem vorsichtig prüfenden Rundblick über den zugigen Alexanderplatz seine Bierdose aus der Manteltasche. Und fügt hinzu: „Ich lass' mich doch nicht aushorchen.“

Bis vor gut einem Jahr hatte Peter Wronka noch mit Frau und Tochter im eigenen Haus in Bötzow gelebt. Doch dann war die Ehe in die Brüche gegangen. Nachdem die Unterhaltszahlungen sein Einkommen bis unter das Niveau der Arbeitslosenhilfe schrumpfen ließen, war er „ausgestiegen“. Seitdem vertreibt sich der 35jährige seinen Tag an Kiosken, Sitzgelegenheiten und in den Straßen rund um den Alexanderplatz.

Nach Ansicht von Berlins Innenpolitikern vertreiben Menschen wie Peter Wronka aber auch die einkaufswilligen Normalbürger. Seit gut einem halben Jahr wird daher versucht, mit einem großangelegten polizeilichen Handlungsprogramm unter der Parole „Aktion saubere Hauptstadt“ öffentlichen Schmuddel aus dem Stadtbild zu verdrängen. Doch der harmlos lautende Aktionstitel fordert weit mehr als die Beseitigung von herumliegenden Taschentüchern, Hundekot und Graffiti. Auch die Exponenten der sozialen Ungerechtigkeit sollen nicht mehr zu sehen sein: Bettler, Alkoholiker und Punks. Vor allem letztere hatten noch im vergangenen Jahr in großen Pulks auf dem Alexanderplatz gesessen.

„Es geht vor allem um die Optik“, sagt der Kontaktbereichsbeamte Lothar Lindner bei seinem sonntäglichen Alex-Rundgang. Die hat sich in den Augen vieler Platzanlieger und Touristen deutlich verbessert: Die wenigen Trinker, die sich über den weiten Platz zerstreuen, drücken sich verschämt auf abgelegenen Bänken herum oder ziehen Alkoholika diskret aus verborgenen Kleidungstiefen, wie Peter. Denn was schon seit Jahren verboten ist, wird nun erstmals konsequent verfolgt: Das Berliner Straßengesetz verbietet den Genuß von Alkohol in der Öffentlichkeit. Wer sich irgendwo mit einer Dose Bier oder einer Buddel Wein hinsetzt, den darf die Polizei des Feldes verweisen.

Ein wirksames Mittel: „Der Platz ist deutlichst leerer geworden“, übt sich Sozialarbeiter Peter Busch im Gebrauch von Superlativen. Regelmäßig fährt er in einem kleinen Bus an die Brennpunkte der Innenstadt und bietet Ansprechstation für wohnungslose Jugendliche und junge Erwachsene. Seine Beobachtung: Mit Platzverboten und Personalkontrollen in den bereitstehenden Mannschaftswagen sei es den Ordnungshütern jetzt gelungen, den jugendlichen Aussteigern ihren einstigen „Abhängeplatz“ abspenstig zu machen.

„Bisher hatten sie die Obdachlosen an den umliegenden Drogen- und Suchtberatungsstellen abgeliefert“, sagt Busch. „Dann wanderten die eben gleich wieder zurück auf den Platz. Jetzt entläßt sie die Polizei an Orten wie dem Grunewald: so weit draußen, daß die nicht so schnell zurückkehren.“

Zugleich entspinnt sich auf dem derzeit unwirtlichen und mit Baustellen verbarrikadierten Tummelplatz zwischen S-Bahn-Station, Kaufhof und Alexanderpassage ein munteres Katz-und-Maus- Spiel. Nach festen Spielregeln: Pärchenweise patrouillieren militärisch-wetterfest gekleidete Polizeibeamte mit hinter dem Rücken verschränkten Händen zwischen den Kiosken und sonntäglichen Spaziergängern. Nur in kleinen Grüppchen und als Einzelgänger werden die Außenseiter auf dem Alex kurzzeitig geduldet.

Almosensammelnde Punkertroikas rotieren so nahezu unscheinbar und in halbstündigem Rhythmus über den Alex. Männer, denen die Alkoholsucht bereits unlöschbare Spuren ins Gesicht geprägt hat, verlassen ihren abgelegenen Sitzplatz, sobald sich Fremde zielstrebig nähern.

Weil man nicht reden will über Dinge, die andere nicht sehen dürfen, präsentieren sich Kioskbesitzer und Ordnungshüter auf dem Alexanderplatz als verschworene Interessengemeinschaft. Auskünfte zur neuen Polizeipräsenz sind nur schwer zu kriegen.

Die beiden Sicherheitsbeamten im Fast-food-Restaurant der Alex- Passage lachen befreit: Der Wortführer hat fix das Namensschild von seiner Brust genestelt und in der Hosentasche verschwinden lassen. Elegant erklärt der beleibte und in feines Tuch gekleidete Herr die schwierige Situation, während sich sein blauuniformierter Kollege hinter dessen breiten Schultern versteckt: „Unsere Gäste fühlen sich seit diesem Jahr wesentlich wohler.“

Dennoch zweifelt der eloquente Wachmann am langfristigen Erfolg der Polizeitaktik. „Das sind Polizeistaatsmethoden, die die eigentlichen Probleme nicht lösen.“ Im November, wenn der große Weihnachtsmarkt beginnt, erwartet er die Rückkehr der Punks. „Die wittern wegen der vielen Besucher ihr ganz eigenes Weihnachtsgeschäft. Man darf gespannt sein, ob die Polizei sich dann mit Knüppeln unters Publikum wagt.“

Doch langfristig kreisen Punker und Obdachlose von einem zentralen Platz zum nächsten. Immer dorthin, wo die Ordnungsmacht ihren Einsatzschwerpunkt gerade beendet. Sozialarbeiter Busch hat seine Beratungstätigkeit auf die zyklischen Wanderungsbewegungen seiner Klientel eingestellt. Noch in diesem Jahr befuhr er dreimal wöchentlich den Alexanderplatz. Nun will er nur noch zweimal dort auftauchen. An drei weiteren Tagen soll statt dessen jetzt der Bahnhof Zoo angefahren werden. Busch: „Dort kocht jetzt der Teufel.“