■ SFOR hat in Bosnien den Frieden bewahrt. Nun gilt es, die Realität anzuerkennen: Bosnien als multiethnischer Staat hat keine Zukunft
: Einsatz für eine aussichtslose Sache

Um das Ergebnis gleich vorwegzunehmen: Mit Bosnien-Herzegowina geht es nicht voran. Die Vision eines mittel- bis langfristig selbsttragenden Friedens erweist sich zusehends als Trugbild. Die Ursache liegt in der unverändert mangelnden Bereitschaft der drei beteiligten Bevölkerungsgruppen, sich über die Grundlagen ihres künftigen Zusammenlebens zu verständigen. Dazu kommt ein im Ansatz verfehlter Friedensentwurf der internationalen Gemeinschaft im Verein mit einer zunehmend realitätsfremden Bosnienpolitik.

Bekanntlich schuf das Abkommen von Dayton einen hochkomplizierten Verfassungsaufbau. Zwei annähernd gleichgroße politische Einheiten tragen ausgeprägt eigenstaatliche Züge: die Serbische Republik Bosnien und die Föderation Bosnien-Herzegowina – letztere bestehend aus den heute kroatisch bzw. bosnisch-muslimisch beherrschten Gebieten. Über beide soll sich ein Dachstaat wölben: die Republik Bosnien- Herzegowina.

Doch dieser Gesamtstaat existiert nur auf dem Papier. Der Sitz der Staatsorgane und die Staatssymbole sind strittig. Es gibt keine gemeinsame Währung, keine gemeinsamen Pässe, kein einheitliches Telefonsystem, kein öffentliches Verkehrswesen. Alle Termine sind überschritten. Nicht einmal die Nummernschilder der Autos wurden angeglichen.

Auch um den inneren Zusammenhalt der beiden bosnischen Staatsgebilde steht es nicht zum besten. In der Föderation führen der muslimische wie der kroatische Teil politisch und ökonomisch ein Eigenleben. In der Serbischen Republik ist der Machtkampf zwischen Krajisnik- und Plavšić-Anhängern nicht entschieden. Der Zerfall in eine von Pale und eine von Banja Luka aus verwaltete Zone nimmt seinen Lauf.

Nun ist die fortschreitende Aufsplitterung Bosnien-Herzegowinas das Gegenteil dessen, was das Dayton-Abkommen erreichen wollte. Wer dafür eine Erklärung sucht, muß noch einen Schritt weiter zurückblicken. Vor Ausbruch des Krieges, im Jahr 1991, zählte Bosnien-Herzegowina 4,3 Millionen Einwohner. Im Oktober 1995, als der Krieg endete, lebte jeder zweite davon nicht mehr an seinem ursprünglichen Wohnort. Sie waren vertrieben worden oder geflohen – 800.000 Muslime, 800.000 Serben und 500.000 Kroaten.

Diese Wanderungsbewegung endete nicht mit dem Schweigen der Waffen. Der Gebietsaustausch, den Dayton verfügte, löste zusätzliche Migrationsschübe aus. Sie wirkten in Richtung einer weiteren Homogenisierung. War Bosnien-Herzegowina vor dem Krieg die Föderationsrepublik mit der gemischtesten Siedlungsstruktur Jugoslawiens, so liegen heute die Anteile muslimischer und kroatischer Bewohner in der Serbischen Republik bzw. der Serben in der Föderation jeweils unter zwei Prozent. Demographisch hat sich ein serbischer Nationalstaat hier und ein muslimisch-kroatischer dort herausgebildet.

Dieser Zustand wäre nur rückgängig zu machen, wenn die betroffenen Menschen und ihre politischen Führungen dies wollen. Doch so ist es nicht. Bei den kürzlich abgehaltenen Kommunalwahlen siegten mit großem Abstand die drei ethnisch orientierten Parteien. Diese Gruppierungen gleichen sich darin, daß sie das Rückkehrrecht von Flüchtlingen hochhalten, soweit es sich um die jeweils eigene Klientel handelt. Zugleich widersetzen sie sich nach Kräften der Rückkehr fremder Flüchtlinge in Gebiete, die sie inzwischen allein regieren. Sie wollen zurückerhalten, was sie beanspruchen, aber nicht teilen, was sie besitzen. Diese Haltung macht die Konfliktgegner zu Komplizen gegen die Idee eines multiethnischen Staates. Für Henry Kissinger widerspricht ein einheitliches Bosnien dem praktizierten Selbstbestimmungsrecht der Bosnier. Noch teilt die internationale Politik diese Einsicht nicht, aber sie kann sie immer weniger ignorieren.

Zwei Jahre nach Kriegsende gilt es, ein Resümee zu ziehen. Die Kampfhandlungen zwischen den verfeindeten Parteien sind nicht wieder aufgebrochen. Dies ist der größte und zugleich der einzige Erfolg der multinationalen Friedensmission. Für diesen Zweck wird die SFOR – auch über das Mitte nächsten Jahres auslaufende Mandat hinaus – noch gebraucht.

Neben dem verbürgten Gewaltausschluß bleiben die Entwicklung sicherer und gleichberechtigter Lebensbedingungen für alle Bosnier sowie die wirtschaftliche Genesung unverzichtbar. Dem steht das Festhalten an der Fiktion eines unabhängigen Staatswesens Bosnien- Herzegowina eher im Wege. Diesen Staat hat es nie gegeben, und nichts deutet darauf hin, daß es ihn je geben wird. Was aber nicht zusammengehören will, kann nur getrennt bestehen.

Die Alternative ist eine verhandelte und vereinbarte Zweistaatlichkeit mit der Option einer schrittweisen Anlehnung an die größeren Nachbarn Kroatien und Serbien. Es entstünden existenzfähige politische Einheiten, der Zersplitterung des Landes würde Einhalt geboten. Die Mehrzahl der Bosnier erhielte die Aussicht auf Staatszugehörigkeit dort, wohin es sie ersichtlich zieht. Für die muslimische Bevölkerung wäre ein Status garantierter und erforderlichenfalls beschützter Autonomie zu schaffen.

Indessen treibt der Mythos vom Fortbestand Bosniens immer kuriosere Blüten. Ein Beispiel, das einem Schildbürgerstreich gleicht, sind die jüngsten Kommunalwahlen. In etlichen Gemeinden – Bosanski Petrovac, Glamoc, Rogatica, Srebrenica, Zvornik – haben Parteien die Mehrheit erlangt, die Volksgruppen vertreten, die dort nicht mehr leben. So will es das Wahlgesetz, das Flüchtlingen freistellt, entweder an ihren Aufenthaltsorten oder in ihren alten Heimatgemeinden abzustimmen. Nun müßten die frischgewählten Gemeinderäte irgendwie zu ihren neuen Amtssitzen gelangen, wo sie – milde gesagt – nicht willkommen sind. Eine Aufgabe für die SFOR? Und könnte die Friedenstruppe dann auch den Schutz der Abgeordneten sicherstellen? Oder gar eine geordnete Kommunalverwaltung für eine ganze Wahlperiode?

Die SFOR hat den schwierigen Frieden bewacht, nun darf sie ihn nicht verspielen. Mandatsverlängerung allein ist keine Politik. Für einen präzisen und erfüllbaren Auftrag läßt sich öffentliche Unterstützung gewinnen, für eine aussichtslose Sache ohne absehbares Ende kaum. Ein älteres Beispiel fahrlässiger Konfliktverschleppung sollte schrecken: Im März 1967 beschloß die UNO, für drei Monate eine Friedenstruppe nach Zypern zu senden. Dort steht sie heute, 33 Jahre später, immer noch. Reinhard Mutz