Milošević-Kandidat verliert in Montenegro

Mit Milo Djukanović wird ein erklärter Gegner des jugoslawischen Präsidenten neuer Staatschef der Adriarepublik. Die Verlierer wollen das Ergebnis mit einer Klage vor dem Verfassungsgericht anfechten  ■ Aus Belgrad Andrej Ivanji

Ein wunderschöner Altweibersommertag brachte in Montenegro die Wende, nicht nur für das kleine Land, sondern wahrscheinlich auch für Serbien. In langen Schlangen standen die Menschen vor den Wahllokalen, um den Präsidenten der kleineren Teilrepublik Jugoslawiens zu küren. Als der bisherige Amtsinhaber, Momir Bulatović, an den Leuten vorbei ins Wahllokal eilte, rief ihm jemand aus der Menge zu: „Stellen Sie sich an wie wir alle!“ Drohend zischte einer der vielen Leibwächter zurück: „Nur noch ein Wort, und...!“ Alle schwiegen erschrocken. Aus dieser Reihe dürfte kaum einer dem Mann, der stur vorbeimarschierte, seine Stimme gegeben haben.

Erst am frühen Montagmorgen stand es fest: Mit einem Vorsprung von nur 7.000 Stimmen wurde Milo Djukanović, bis vor kurzem Bulatović' politischer Weggenosse und Premier Montenegros, nun jedoch Reformer und erklärter Gegner von Slobodan Milošević, neuer Präsident des kleinen Bergstaates an der Adria. Die Wahlbeteiligung lag mit rund 70 Prozent höher als bei der ersten Runde, als Bulatović einen knappen Vorsprung vor seinem Rivalen hatte, aber nicht die absolute Mehrheit bekam.

Vorschriftswidrig wurden die Wahllokale nicht um 20 Uhr geschlossen, sondern in der Hauptstadt Podgorica um Mitternacht, in manchen Orten erst gegen 3 Uhr morgens. Zwischen den beiden Wahlterminen am 5. und am 19. Oktober hatten etwa 13.000 Montenegriner geklagt, meist potentielle Djukanović-Wähler, daß sie nicht auf den Wählerlisten gestanden hätten. Erst am Tag vor der Stichwahl hatte das Gericht noch 7.000 Personen als Abstimmungsberechtigte zugelassen. Sie mußten an Ort und Stelle die Eintragungen durchsetzen. Der Stab Bulatović' will prüfen, ob deswegen die Rechtmäßigkeit der Wahl angefochten werden kann.

Der Ausgang der Wahl bedeutet einerseits eine Polarisierung der Montenegriner, andererseits einen Machtzuwachs für den neuen, jugendlichen Präsidenten Montenegros. Djukanović denkt nicht nur an sein kleines Land. Er erklärte, er hoffe, Montenegro werde ein „Ansporn für die Wende in ganz Jugoslawien“ sein.

Zumindest dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević hat er den Fehdehandschuh bereits ins Gesicht geschleudert. Schon spekuliert die unabhängige Presse, da Montenegro zur Zeit den Ministerpräsidenten Jugoslawiens stellt, Djukanović könnte den bisherigen Premier, den farblosen Radoje Kontić, zurückziehen und seinen Freund, den bisherigen Parlamentspräsidenten Montenegros, Svetozar Marović, vorschlagen. Zumindest laut Verfassung hat der Premier weit größere formale exekutive Rechte als der Präsident.

Zwar haben die Montenegriner nicht einmal gemeinsam mit der serbischen bürgerlichen Opposition die Mehrheit in der ersten Kammer des Bundesparlaments, die für den Wechsel des Premiers notwendig wäre. Dafür aber kann Djukanović über seine Abgeordneten in der zweiten, der sogenannten Kammer der Republiken, alle für das Land wichtigen Entscheidungen blockieren. Das wäre die Staatskrise in Permanenz.

Die größere Teilrepublik, Serbien, ist nach ihren Wahlen immer noch ohne Präsident, ohne Regierung und Parlament, weil sich bisher keine Mehrheit zusammenfinden konnte. Auch die Hauptstadt Belgrad ist ohne Bürgermeister.

Das ist ein Grund mehr für Milošević, sich mit allen Kräften gegen die knappe Entscheidung der Montenegriner zu stemmen. Möglich ist eine Anfechtung der Wahl vor dem Verfassungsgericht, um Entscheidungen Montenegros auf Bundesebene mit dieser Begründung zu ignorieren.