Rußland im Diamantenfieber

1991 hat Jelzin der sibirischen Republik Sacha (Jakutien) Privilegien beim Diamantenbergbau versprochen. Heute will er sie gerne wieder einziehen  ■ Aus Jakutsk Ulrich Heyden

Die Arbeiter in der kleinen Fabrikhalle sitzen gebeugt über ihren Schleifscheiben. Der Raum liegt im Halbdunkel. Nur über den surrenden Scheiben leuchten helle Lampen. Jedesmal, wenn der Halter mit dem Diamanten über die Schleifscheibe geführt wird, gibt es einen hohen, kaum vernehmbaren Ton. Der Diamant hat eine neue Fläche bekommen. Das Resultat wird sofort mit einer Speziallupe kontrolliert.

Juri Jegorowitsch Nikoforow führt Besucher mit Stolz durch die kleine Diamantenfabrik. Er ist der Direktor der vor zwei Jahren mit finanzieller Hilfe des Staates gebauten Fabrik. Das Unternehmen liegt in Prokrowsk an der Lena, sechs Flugstunden von Moskau entfernt. Die Republik Sacha (früher Jakutien) ist, was ihre Bodenschätze angeht, eine der reichsten Regionen Rußlands. Neben Gold werden hier 99 Prozent aller russischen Diamanten gefördert.

Früher wurden die Rohdiamanten gleich zur Weiterverarbeitung nach Barnaul, Moskau oder Smolensk geschickt. Heute behält man einen Teil zurück, um ihn in den neugegründeten jakutischen Diamantenfabriken weiterzuverarbeiten. Der Preisunterschied zwischen Rohdiamanten und geschliffenen Brillanten ist beachtlich. Diesen Gewinn will man nicht Weiterverarbeitern außerhalb der Republik Sacha überlassen. Es wird jedoch noch einige Jahre dauern, bis die Schleifereien in Sacha mit den alteingesessenen Weiterverarbeitern in Rußland mithalten können.

Vor allem fehlt es an Erfahrungen, Maschinen und Kapital. Direktor Nikoforow hat seine Leute deshalb zur Fortbildung nach Smolensk und ins belgische Antwerpen geschickt. Die belgische Stadt ist ein Zentrum des Diamantenhandels. „Dort haben wir ein Unternehmen gegründet. Unsere Leute lernen dort den Markt kennen.“

Die Rede des Fabrikdirektors zeugt vom neuen Selbstbewußtsein in Sacha. Man ist sich seiner Reichtümer bewußt und will sie stärker für die eigene Region nutzen. Sacha gehört zu den sozial und infrastrukturell unterentwickeltsten Gebieten Rußlands. Wirkliche Schönheit sieht man eigentlich erst, wenn man das Städtchen verläßt und über den kilometerbreiten Fluß, die Lena, blickt.

Früher fuhren dort viele Lastschiffe, die die Region, die weder über Autos noch Eisenbahn zu erreichen ist, mit dem Lebensnotwendigen versorgten. Heute fahren auf der Lena nur noch selten Schiffe. Die Wirtschaft in der Republik liegt danieder, wenn man einmal von der Diamanten- und Goldgewinnung absieht. Um die Republik wirtschaftlich voranzubringen, hat ihr Präsident, Michail Nikolajew, einen Teil von Sachas Bodenschätzen dem direkten Zugriff Moskaus entzogen.

1991 konnte er dem russischen Präsidenten ein wichtiges Zugeständnis abringen. Ein Viertel der in Sacha geschürften Diamanten und auch ein Teil des Goldes darf die Republik zum Selbstkostenpreis kaufen. Bei den Diamanten liegt die Differenz zum Weltmarktpreis bei 60 Prozent, und mit dem Gewinn wurde in den letzten Jahren eine ganze Reihe sozialer und kultureller Projekte finanziert. In der Hauptstadt Jakutsk stehen heute eine neue Universität und eines der modernsten Krankenhäuser Rußlands.

Als der Kreml jüngst mal wieder auf der Suche nach Mitteln zum Stopfen der Haushaltslöcher war, hat man sich der bescheidenen Privilegien erinnert, die Moskau der Republik Sacha vor sechs Jahren gewährte. Im Juli ordnete Präsident Jelzin in einem Ukas an, daß die jakutische Regierung in Zukunft den ihr zustehenden Diamantenanteil von 25 Prozent zu den von De Beers festgelegten Weltmarktpreisen kaufen muß.

Der Extragewinn für die Republik Sacha soll in Zukunft also wegfallen. Warum Jelzin die Privilegien für Sacha erst einführte und jetzt wieder streicht, kommentiert Walentin Fjodorow, der Ministerpräsident von Sacha, folgendermaßen: „Jelzin meint, das sei ein zu großer Vorteil für Sacha. Wir verhalten uns angeblich separatistisch. Damals, als das Privileg eingeführt wurde, war es sehr einfach. Erstens kämpfte Jelzin gegen Gorbatschow, zweitens gegen Chasbulatow. Er wollte Anhänger in den Regionen gewinnen.“

Zeitgleich mit Jelzins Diamanten-Ukas begannen Moskauer Zeitungen eine Kampagne gegen die Fördergesellschaft Almasy Rossii-Sacha. Eine für den Export bestimmte Sendung von Rohdiamanten aus Sacha – ihr Wert betrug 150 Millionen Dollar – wurde vom Moskauer Zoll drei Monate lang festgehalten. Die Hoffnung der Almasy-Manager: Wenn der Vertrag mit De Beers erst unter Dach und Fach ist, wird alles gut.