Schreiben unter Stromschlägen

■ Permanente Anspannung: Die Tagebücher von Silvia Plath

Ihren Ruhm hat die amerikanische Schriftstellerin Sylvia Plath (1932-1936) nicht mehr erlebt. Nach Erscheinen ihres Romans Die Glasglocke beging sie Selbstmord: „Ich kann nicht nur um des Lebens willen leben: sondern für die Wörter, die der unablässigen Veränderung widerstehen.“

Die Tagebücher umfassen die College-Jahre ab 1950 sowie die Phase ab 1958, als Plath zuerst in Boston lebt und dann mit ihrem Mann Ted Hughes nach England übersiedelt. Die Eintragungen zeigen Plath, zerrissen zwischen Leben und Schreiben. Die Unbedingtheit ihres künstlerischen Anspruchs konkurriert beständig mit dem Wunsch, eine gute Ehefrau und Mutter zu sein. Die Tagebücher verraten die permanente Selbstanspannung einer Frau, die sich zwischen Depressionen und Höchstanforderungen zerreibt. „Es ist, als würde mein Leben auf magische Weise durch zwei elektrische Ströme angetrieben: einem fröhlich positiven und einem verzweifelt negativen.“

Universitätsstipendien und Veröffentlichung ihrer Gedichte schaffen immer nur eine kurzzeitige Zufriedenheit. In Plaths hermetischem Bezugssystem überwiegt die Selbsterwartung, stets brillant, gefragt und begehrt zu sein. Die Ehe mit dem englischen Autor Ted Hughes scheint sie zwar einem glücklichen Familienleben näherzubringen, die „fatale Eifersucht unter Profis“steigert zugleich das Empfinden beständiger Konkurrenz.

Der Krisenkreislauf wiederholt sich – lehnt eine Zeitschrift die Veröffentlichung eines Plath-Textes ab, ist sie depremiert, zugleich erhöhen die Beschäftigung mit Literatur und der Vergleich mit dem Erfolg ihres Mannes die eigenen Anforderungen. Die Tagebücher zeigen eine Frau in ständiger Selbstbeobachtung, außerstande, die Fragmente ihres Lebens zu einem lebbaren Ganzen zusammenzufügen.

Dabei umfaßt der vorliegende Text nur ein Drittel der Tagebücher. Die Herausgeberin hat aus „Gründen der Diskretion“Passagen gekürzt, beispielsweise viele zu „Sylvia Plaths Erotik, die ziemlich ausgeprägt war“. Und Plath-Ehemann Ted Hughes, unterdessen Hofdichter des englischen Königshauses, hat die Aufzeichnungen seiner Frau kurz vor ihrem Tod vernichtet, „weil ich nicht wollte, daß ihre Kinder das je lesen müßten“. Diese Tagebücher sind also ebenso fragmentarisch wie das Leben, dem sie entströmten. Sie wurden verstümmelt. Welch ein beredter Kommentar zu einem verzweifelten Leben.

Frauke Hamann

Heute um 20 Uhr liest Alissa Walser im Buchladen Osterstraße, Osterstraße 156, aus ihrer Übersetzung „Sylvia Plath. Die Tagebücher“, Frankfurter Verlagsanstalt, 1997, 492 Seiten, 54 Mark