„Zynisch, das abrupt zu beenden“

■ Im Interview: Christoph Schlingensief über den Vorhang im Theater und die Plattform, wo das, was passiert, nach außen übertragen wird

taz: Herr Schlingensief, was wollen Sie eigentlich?

Christoph Schlingensief: Ich will eine künstlerische Form finden, die sich fließend aus meinem Leben entwickelt. Ich will raus aus dem Theatersaal. Nicht mehr: Jetzt geht der Vorhang auf. Ich glaube nicht daran, daß das noch irgendeine Bedeutung hat. Man muß am Theater die Anfangszeiten abschaffen, die Leute müssen, wenn sie kommen, hören: ,Scheiße, daß du jetzt erst kommst.'

Die 68er werfen uns ja immer vor, daß sie das alles schon besser gemacht haben. Ich glaube aber nicht, daß wir dasselbe meinen. Ich will nicht wie diese Regisseure enden, mit ihren Interpretationstexten und Lichtwechseln, die auch nichts anderes machen als Andrew Lloyd Webber fürs Bildungsbürgertum. Wir müssen in eine gleitende Bewegung von Realität reinkommen und fragen: Wer hat die Mönckebergstraße inszeniert?

Sie wollten mit „7 Tage Notruf für Deutschland“testen, ob die Hamburger „noch auf Sendung sind“. Sind sie's?

Ich wollte wissen: Begreift Ihr tatsächlich, daß Ihr alle an einer Inszenierung teilnehmt, an der großen Helmut-Kohl-Inszenierung? Ich hatte nicht die Erwartung, daß die Leute hier ausflippen. Aber es ist schon klasse, daß, wenn ich übern Bahnhof laufe, Leute rufen: 'Hey, du bist doch der mit der Erbsensuppe!' Auf der anderen Seite sind da zehn Reihen von Zuschauern, die bei der Gala aufspringen, wenn es um die Köpfung eines Huhns geht. Das ist doch total absurd: Die Bauern verlassen fluchtartig den Schweinestall.

Was ist die beste Erfahrung dieser Tage in Hamburg?

Daß alles fließender wird. Und daß in der Mission ein Forum geschaffen wurde.

Wie soll es weitergehen?

Ich überlege, mit der Bühne ganz aufzuhören. Ich mache oft Zentralabsagen in Erschöpfungszuständen, aber die sind nicht unbedingt falsch. Eine Idee ist, ein Wohnwagentheater in sechs Staaten der Erde zu realisieren. Man lebt da in einem aktiven Realkunstwerk.

Und wie soll es in Hamburg weitergehen?

Das Projekt darf nicht einfach aufhören, das ist in den vergangenen Tagen klar geworden. Mir wurde vorgeworfen, was ich mache, sei zynisch – aber zynisch wäre es, das ganze abrupt zu beenden. Das Schauspielhaus muß einen Raum finden, der Begegnung möglich macht, der Plattform ist, wo das, was passiert, nach außen übertragen wird. Diese Kunstanordnung ist eine Selbstanordnung meines Zweifels. Es ist vielleicht kleinbürgerlich, aber ich frage mich immer: 'Was ist sinnvoll?' Das hier ist weder Heiopei noch Masochismus. Mir liegt wirklich was dran.

Fragen: Christiane Kühl