Schinken, nackte Weiber und Sauereien

■ Einst machte er das Linksblatt Brasiliens - nun die brutalste Tageszeitung der Welt. Weggefährten finden sie sehr witzig

Jaguar kennt jeder in der Szene. Ein Klassetyp, heißt es, ein wackerer Mitkämpfer gegen's neoliberale Schweinesystem und ein Genie. So lobt die Intelligentsia in Rios Mittel- und Oberschichtsvierteln Ipanema und Leblon. Der gutbetuchte Glatzkopf wohnt selber dort, in einem Penthouse am famosen Hippiemarkt, säuft mit nahezu allen Kulturgrößen, nennt sich in Anlehnung an das von ihm bevorzugte Automodell „Modell 1932, alkoholbetrieben“.

Man kennt sich aus alten Tagen: 1969, mitten in der härtesten Diktaturphase, gründete Jaguar mit gleichgesinnten Companheiros das oppositionelle Humor-Wochenblatt Pasquiem. Es war ein Markstein der nationalen Pressegeschichte. Doch die Zeiten haben sich geändert: Seit Brasilien der Form nach eine Demokratie ist, „verschwinden“ mehr Menschen, werden weit mehr Unliebsame von Todesschwadronen ermordet als unter den Militärs.

Und auch Jaguar, mit vollem Namen Sergio Magalhaes Gomes Jaguaribe, macht heute etwas ganz anderes als damals. 1991 trat er als Chefredakteur in der Tageszeitung A Noticia an, die damals ein ganz normales Boulevardblatt war. Sein Konzept: „Viele nackte Weiber, Sauereien und Schinken“. „Presuntos“, Schinken ist in Rios Vulgär- und Gangstersprache ein gängiger Begriff. „Presuntos“ sind Ermordete; im Angebot sind „Schinken in Scheiben“ (Presunto fatiado“ und „Gehacktes“ (Picadinho).

Jaguar hält Wort. Mit seiner Mischung aus Leichenschau, Pornographie und sadistischem Humor ist A Noticia bislang weltweit einmalig. Wenn beispielsweise auf dem Uni-Campus von Rio eine junge Frau vergewaltigt und danach lebendig verbrannt wird, hat Jaguar kurz darauf alle Fotos auf dem Tisch. Er läßt alles drucken. Unter der Leiche der Zwanzigjährigen steht – natürlich – das Wort „Schinken“, im Text ist zudem von zubereitetem Grillfleisch die Rede – dazu stellt Jaguar ein Foto mit Toastbrot. Den humorigen Tonfall aus der Zeit von Pasquiem hat A Noticia beibehalten. Daneben fast jeden Tag ein Reigen entstellter Leichen. Im September war es die vom eigenen Mann mit einem Fleischermesser in „Hackfleisch“ verwandelte 28jährige Carmen da Cruz, die man in allen Details zeigte. Der Aufmacher einer Augustausgabe: „Frau während Vergewaltigung mit Elektroschocks zu Luststöhnen gezwungen“. Darunter zeigte A Noticia die Ermordete, halbnackt. Fotoschlagzeile: „Schönheit mit Stirnschuß ausgeknipst.“

Wie hier stellt Jaguar neben die nackten Leichen am liebsten den nackten Hintern eines Pin-up. Bevorzugt sind blonde europäische Modelle, auf gleicher Höhe direkt daneben Reste lebendig Verbrannter, Zerstückelter, oder auch ein abgeschlagener Kopf. Am liebsten nimmt er nackte Frauen mit gut sichtbaren Einschüssen. Die Lieblingsworte von A Noticia: Xota und Xoxota – Brasiliens Vulgärbegriffe für das weibliche Geschlechtsteil.

Doch bei seinen alten Weggefährten gilt Jaguar mit seinem Schmuddelblatt keineswegs als sexistischer Macho. Das bestätigt ihm selbst die der Arbeiterpartei PT nahestehende Monatszeitschrift Atençao. In einem mehrseitigen Lobartikel wird der Chefredakteur gleich neben der Top-Kolumne von Eduardo Galeano („Die offenen Adern Lateinamerikas“) gepriesen. Zwei ebenso gut eingeführte brasilianische Schriftsteller, Joao Ubaldo Ribeiro („Brasilien, Brasilien“) und Antonio Callado („Quarup“) finden Jaguars A Noticia einfach klasse gemacht.

In der Sonderausgabe zum hundertsten Blatt-Jahrestag nannte sich Joao Ubaldo Ribeiro im letzten Jahr einen engen Freund, die Zeitung sei sehr witzig – er sterbe vor Lachen. Der taz sagte Ribeiro, über Gewalt und Brutalität denke man in Brasilien eben anders als etwa in Deutschland; ein Blatt wie A Noticia sei daher für Ausländer schwer zu verstehen. Zu der Leichenschau in A Noticia sagt er nichts. Callado sagte vor seinem Tod im letzten Jahr, von pornographischen Inhalten sei ihm nichts bekannt. Zuvor hatte er in der Sonderausgabe das Blatt und seinen Macher gelobt.

Auch wer bei Kommunikationswissenschaftlern oder der wichtigsten Medienzeitschrift des Landes, Imprensa, nachfragt, erntet nur gelangweilte Reaktionen. Von der Frage, ob A Noticia, die auch von Kindern gern gelesen wird, etwa gegen Presse- und Jugendschutzgesetze verstoße, wollen weder Juristen noch Frauen- und Familienrechtlerinnen etwas hören.

Nur wenige, wie etwa Jurandir Freire Costa, Therapeut und Direktor des Instituts für Sozialmedizin der Universität Rio, lassen sich zu eindeutiger Kritik an derlei Journalismus hinreißen: „Banalisiert werden nicht nur Gewalt und Brutalität, sondern auch der Tod.“ Warum gerade in Brasilien ein solches Blatt erscheinen kann, erklärt Costa so: In Europa gebe es noch verantwortungsbewußte kulturelle und politische Eliten, die gegen solche Medien vorgehen würden. „Derartige Eliten hat Brasilien nicht mehr – die existierenden bleiben untätig und undifferent.“

Jaguar, der mit ausländischer Presse lieber nichts zu tun haben will, kann sich Gelassenheit leisten. A Noticia wird mit seiner Auflage von über 100.000 Exemplaren auch in anderen Millionenstädten Brasiliens verkauft und erscheint im Verlag von Odia, des vergleichsweise angesehenen Auflagendritten des Landes, der sich mit Radio- und Pressebeteiligungen derzeit zur erfolgreichen Mediengruppe entwickelt.

Und: Blätter wie A Noticia gibt es in Brasilien inzwischen viele – auch wenn andere es vielleicht nicht ganz so brutal machen. Unweit von Jaguars Redaktion in der heruntergekommenen Altstadt Rios produziert beispielsweise eine kleine Redaktion mit großem Erfolg Povo do Rio. Sein Lieblingsthema hat es sich von Jaguars Blatt abgeguckt: Leichenschau. Patricia Sholl