Auch Nibelungentreue hat ein Ende

Die Stadt Passau will ihr berühmtestes Bauwerk abreißen lassen und hofft, mit der Nibelungen-Halle auch gleich das braune Image loszuwerden, das ihr die alljährlichen Parteitage der rechtsextremen DVU verpaßt haben  ■ Von Philipp Maußhardt

Si zogeten dannen balde nider durch Bayer lant ... unt da daz In mit fluzze in die Tuonouwe gat“

(Aus dem Nibelungenlied: „Sie zogen durch das Land der Bayern, dorthin, wo der Inn mit Schäumen in die Donau fließt.“)

Kürzlich kam Kriemhild durch Passau. Okay, es ist schon ein paar Tage her, aber immerhin noch nicht solange, daß Amtsleiter Franz Xaver Scheuerecker sich nicht mehr daran erinnern würde. „Auf ihrer Reise zu König Etzel in Ungarn hielt sie in Passau.“ Ist ja gut. Es behauptet ja niemand, daß die Nibelungen-Halle nur deswegen Nibelungen-Halle heißt, weil die Nazis sie so nannten. Die Stadt, wo Donau, Inn und Iller zusammenfließen, hat wirklich einen echten Bezug zur germanischen Sagenwelt. Und trotzdem hat Passau ein Problem: Jedes Jahr feiert die rechtsextreme Deutsche Volksunion (DVU) in der Nibelungen- Halle ihren Parteitag, und jedes Jahr gerät Passau deswegen in die Schlagzeilen. Jahrelang hat sich die Verwaltung mit allen juristischen Mitteln vergeblich gegen den rechten Spuk gewehrt – jetzt reicht es den Stadtvätern. Sie wollen die Nibelungen-Halle abreißen.

Abreißen? Als das böse Wort im Mai diesen Jahres zum ersten Mal öffentlich ausgesprochen wurde, da brauste der Ruf wie Donnerhall bis in die Landeshauptstadt direkt ins Hauptquartier der CSU. Ob man da richtig gehört habe, wollte man wissen, und ob man das Aschermittwochstreffen bald andernorts begehen müsse? Denn nicht die rechtsextreme DVU, sondern kein anderer als der selige Franz Josef Strauß hatte der Halle mit der Verlegung seines politischen Aschermittwochs von Vilshofen nach Passau im Jahr 1975 zu der Berühmtheit verholfen, die sie bis heute hat.

In jenen vergangenen Tagen, an denen der Schutzheilige aller Bayern drei Stunden lang die Welt erklärte, brach der Verkehr in Passau zusammen, blieben viele Geschäfte geschlossen und wurden bis zu 12.000 Maß Bier konsumiert. „Hannover grüßt FJS“ oder schlicht: „Strauß – ein Segen für unser Land“ stand auf Transparenten, die den brodelnden Saal schmückten, in dem der einfache Mann nach einfachen Antworten gierte – und sie bekam.

Vorbei die Zeiten. Heute kündigt ein traurig-rotes Herz aus Sperrholz auf der Stirnseite der Halle eine „Erotik-Messe“ an. Darunter weist eine Leuchtreklame, wie man sie sonst nur noch in Rumänien findet, auf die nächsten Veranstaltungen hin: eine Polstermöbel-Messe, Otto, die Erotik-Messe, ein Schnäppchenmarkt. Nichts Aufregendes also. Rentner Alois Walch hat seine Mütze zurechtgerückt und sitzt an diesem tristen Herbstvormittag für 12 Mark die Stunde gleich hinter der Eingangstür. „Wachdienst Nibelungen-Halle“ steht auf seiner Uniform. Die drei Besucher, die sich da im Polstermöbelmarkt verlieren, hat er im Blick, und sowieso gibt es bald Mittagessen. Es könnte so schön sein in Passau. An der Seite der Halle auf einer Außentreppe rauchen ein paar Gymnasiasten einen Joint, während im Keller Norbert Täuber, der Hallenleiter, nach dem Fortgang der Schlosserarbeiten an der Heizungsanlage schaut. Ja, es könnte. Wenn da nur nicht die Verrückten wären, oder wie es Täuber höflich formuliert: „Diese Gäste von außerhalb.“

Wenn also Herr Doktor Gerhard Frey aus München und seine „doitschen“ Mannen von der DVU einfallen, ist es vorbei mit der Passauer Idylle. „Dann sind wir die bestbewachte Halle der Welt“, sagt Täuber. Es ist seit 1982 ein wiederkehrendes Ritual: Zwei Tage vorher riegelt ein beeindruckendes Aufgebot der Polizei den „Kleinen Exerzierplatz“ ab und verstärkt die Streifen in der Altstadt, um Sprüher der kleinen, aber aktiven Antifa-Gruppe Passau abzuschrecken. Die finden aber doch immer ein Plätzchen, und da steht auch dieses Jahr wieder in frischem Schwarz: „DVU angreifen“ oder „Nazis raus“. Dann reisen auch schon wieder die Journalisten an und schreiben, daß sich in Passau die Ewiggestrigen zu ihrem Jahrestreffen zusammenfanden. 1990 hatte die ehrwürdige Sunday Times in London am Beispiel Passau erklärt, wie unbewältigt die deutsche Vergangenheit sei. Es kommt, wie jedes Jahr, zu einem Gerangel zwischen Rechten und Gegendemonstranten, die Polizei nimmt mehrere Dutzend Personen vorläufig fest, konfiziert Waffen und begleitet schließlich die Busse wieder aus der Stadt heraus. Wie Jahresringe läßt sich das jährliche Politspektakel auf der Stirn von Oberbürgermeister Willi Schmöller (SPD) ablesen: Jedes Jahr eine Runzel mehr. Was hat der Mann nicht alles versucht, die unerwünschten Gäste fernzuhalten.

Freiwillig gaben sie der DVU die Halle nie

Freiwillig gab er ihnen nie die Halle. Doch in den 41 Verfahren hat das Verwaltungsgericht immer zugunsten der DVU entschieden. 80.000 Mark hat sich die Stadt diesen symbolischen Protest kosten lassen. 1988 erklärte der Gemeinderat die DVU-Mitglieder in einem „Passauer Bürgermanifest“ zu „unerwünschten Gästen“, denn durch sie rücke Passau in das Licht einer „Nazi- oder braunen Provinzstadt“. Es half nichts. Sie kamen immer wieder. Daß Anna Rosmus, das „schreckliche Mädchen“, die damals öffentlich in der braunen Vergangenheit Passaus wühlte, ihre Heimatstadt wegen der DVU-Veranstaltungen beschimpfte, war ungerecht. Denn im Rathaus war man wirklich findig: Nur noch „große Parteien“ dürfen einmal im Jahr die Nibelungen- Halle mieten, entschied der Gemeinderat eines Tages und war sich schon in der Abstimmung sicher, daß das Verwaltungsgericht auch diesen Passus wieder streichen ließ. Wie wahr. 1990 versuchten sie es sogar mit dem Ausländerrecht, als der englische Geschichtsfälscher David Irving sprechen sollte. Der Auftritt würde, argumentierte die Stadt, „erhebliche Belange der Bundesrepublik“ betreffen und das deutsch-israelische Verhältnis belasten. Er wurde verboten. Doch ein Jahr später wurde auch dieser Bescheid vom Gericht wieder aufgehoben. Und die Stadt erhielt von der Regierung Niederbayerns selbst eine Abmahnung: Die ständigen Einwendungen seien ein „Mißbrauch der rechtssprechenden Gewalt“.

Der eingangs erwähnte Leiter des Amts für Stadtentwicklung, Franz Xaver Scheuerecker, kommt ins Grübeln, wird er darauf angesprochen. „Wenn wir vielleicht den Namen der Halle geändert hätten in ,Geschwister-Scholl- Halle‘ und den Platz davor umbenannt zur ,Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus‘ – vielleicht wären sie dann weggeblieben...“ Es muß daher im Rathaus kürzlich als ein seltener Glücksmoment gefeiert worden sein, als die Bundeswehr vor den Toren der Stadt ein riesiges Areal aufgab, auf dem die Stadtplaner sofort eine neue, eine viel modernere, eine völlig Nibelungen-freie Stadthalle planten.

Man muß, um das zu begreifen, nur Franz Xaver Scheuerecker in die Augen schauen, wenn er auf seinem Schreibtisch die neuen Pläne ausbreitet: „Das ist unsere Chance, so etwas bekommt man nicht alle Tage“, sagt er und hat dort, wo heute noch die alte, ungeliebte Halle samt Parkplatz steht, schon mit blauer Farbe einen neuen Stadtteil entworfen mit Bürgerzentrum, Jugendhaus, Konzertsaal, Bibliothek und einem Multiplex-Kino. Seit 20 Jahren arbeitet Scheuerecker im Rathaus, und seit 20 Jahren wartet er auf diesen Moment. Ja, Scheuerecker, ein durchaus nüchterner Beamter, gibt zu, er empfinde so etwas wie „Euphorie“. Die alte Halle, sagt er dann, „ist schon vergessen“.

Das stimmt nicht ganz. Denn vielleicht wird die Halle gerade erst neu entdeckt von einer Behörde, die sich bislang nicht um sie gekümmert hat: Sollte der Abriß jedenfalls ohne Einspruch des Landesdenkmalamtes geschehen, dann müßte der Denkmalschutzgedanke in Bayern neu definiert werden. Denn nicht nur ihre politische Bedeutung, auch ihre Bauweise ist ziemlich einmalig.

Die Idee zum Hallenbau hatte der damalige NS-Oberbürgermeister Max Moosbauer. Als strammer Parteigenosse und NSDAP- Kreisleiter wollte er an der Ostgrenze des damaligen deutschen Reiches eine Aufmarschhalle für 10.000 Menschen, „die einen nachhaltigen Eindruck hinterläßt“. Und billig mußte sie sein, denn die Stadt hatte kein Geld, sondern verlangte von ihren Bewohnern dafür mehr oder weniger freiwillige Spenden. In den heute noch vorhandenen Spendenlisten stechen vor allem die Holzbauern aus dem Bayernwald hervor. Sie lieferten nahezu das gesamte Bauholz zum Nulltarif. Der Passauer Architekt Karl Kieffer hatte zusammen mit einem Stuttgarter Ingenieurbüro eine patentierte Holzrahmen- Konstruktion entwickelt, die für solche Ausmaße (Länge: 126 Meter, Breite: 46 Meter) geeignet war und die bis heute noch keine größeren Instandsetzungsarbeiten notwendig machte. Selbst die alte Heizungsanlage – ein Heißluftgebläse mit Turbinenantrieb – funktioniert noch prima.

„Nur zum Dach regnet es herein“, sagt Hallenleiter Täuber und bedauert ein wenig, daß er nach 40 Jahren, in denen er sozusagen in der Halle lebte – sein Vater war schon Hallen-Chef –, noch einmal umziehen muß. Aber vor dem Jahr 2002 wird das eh nichts werden. Und bis dahin gilt das alte Ritual: Für Februar 1998 hat die NPD ihre nächste Großkundgebung angekündigt...