Press-Schlag
: Holländer sind lieb!

■ Die internationale Spielvereinigung Schalke 04 gewinnt 1:0 gegen Anderlecht

Erinnern wir uns an den Niederländer Frank Rijkaard. Im Achtelfinale der WM 1990 in Italien bespuckte er den deutschen Nationalspieler Rudi Völler. Zwei Jahre zuvor hatte Libero Ronald Koeman sich nach dem Sieg der Holländer im EM- Halbfinale mit dem Trikot des Deutschen Olaf Thon symbolisch den Hintern abgewischt. Das saß. Es war zu befürchten, daß Deutsche und Holländer niemals Freunde würden.

Erinnern wir uns nun an den Dienstag. Da spielte im Uefa- Cup-Wettbewerb eine Mannschaft mit dem deutschen Namen Schalke 04 gegen eine Mannschaft mit dem belgischen Namen RSC Anderlecht. Bei Anderlecht spielten vier Belgier. Bei Schalke vier Deutsche – und drei Niederländer.

Nun begab sich in der neunten Minute, daß ein Holländer der Schalker Mannschaft etwas antat, das in einer erfolgsorientierten Zeit fast noch schlimmer ist, als bespuckt zu werden. Der Schalker Rene Eijkelkamp versäumte es, vier Meter vor dem gegnerischen Tor den Ball ins Anderlechter Gehäuse zu schießen. Unglaubliches passierte: Die Fans stöhnten auf, schrien „Meine Fresse!“, aber niemand forderte, diesen Scheiß-Holländer zu lynchen. Fünf Minuten später passierte noch Unglaublicheres. Eijkelkamp köpfte drei Meter vor dem Tor so weit über das Gebälk, daß es wie Absicht aussah. Und wieder forderten die 56.600 Fans im ausverkauften Gelsenkirchener Parkstadion nicht den Kopf des Holländers. Bedarf es eines besseren Beweises, daß nationale Armeen eines Tages überflüssig werden könnten?

Fahren wir in der Beweiskette fort, daß Nationalitäten zumindest im Fußball keine Rolle mehr spielen. Vorher wollen wir allerdings aus Chronistenpflicht einen deutschen Spieler erwähnen. Olaf Thon schoß in der 18. Minute das 1:0. Die beglückten Fans dankten es ihrer Mannschaft und sangen den Namen des holländischen Trainers Huub Stevens.

Besonders giftig spielten für den Uefa-Cup-Verteidiger die belgischen Spieler Marc Wilmots und Michael Goossens. Sie hatten früher bei dem belgischen Verein Standard Lüttich gespielt und hassen infolgedessen nichts mehr als den RSC Anderlecht. Wer das nicht versteht, braucht nur daran zu denken, daß aufrechte Schalke- Fans nichts mehr hassen als die Mannschaft von BVB Dortmund. Goossens und Wilmots schlug bei jeder Ballannahme ein Pfeifkonzert der etwa 500 Anderlecht-Anhänger entgegen. Und die Schalker Fans schrien zurück. „Ihr seid Scheiße wie der BVB.“ Das war weniger gegen die belgische Mannschaft gerichtet, vielmehr wurde die Gelegenheit genutzt, den Dortmundern eins auszuwischen. Als die Schalker Fans ihre „Ruhrpott! Ruhrpott!“- Rufe anstimmten, riefen einige dazwischen: „Außer Dortmund.“

„Jede Europapokalrunde ist eine lehrreiche Begegnung mit einer fremden Kultur“, hatte Schalkes Trainer Huub Stevens vor dem Spiel gesagt, nachzulesen im Vereinsblatt. Die Lehre diesmal hätte bei gewissen Naturen lauten können: Portugiesische Schiedsrichter sind echt für'n Arsch. Es war schon bemerkenswert, wie selbstbewußt der Schiedsrichter ein Team bevorteilte, das im nächsten Jahr wegen Schiedsrichterbestechung vom internationalen Wettbewerb ausgeschlossen ist. 1984 zahlte Anderlecht erwiesenermaßen 50.000 Mark an den Schiedsrichter der Partie gegen Nottingham Forest. Der RSC Anderlecht kam eine Runde weiter. Doch Schalke-Fans sind nicht wie deutsche Taxifahrer, schon gar nicht wie ihre Fahrgäste und erst recht nicht wie Bayern-Fans, die Aldi-Tüten hochhalten, wenn sie gegen türkische Mannschaften spielen. Statt den portugiesischen Schiedsrichter zu beschimpfen, jubelten sie ihm lieber spöttisch zu, wenn er einmal für ihr Team pfiff.

Ob es auch an dieser Gesinnung der Fans liegt, daß Schalke seit acht internationalen Heimspielen in Folge ohne Gegentor geblieben ist? Schließlich ist es rational kaum zu erklären, daß die stürmische Anderlechter Mannschaft in der zweiten Halbzeit kein Tor gegen die schwächelnden Schalker erzielen konnte. Es scheint so, als sei wenigstens der Fußballgott ein multikultureller Pazifist. Markus Franz