Wer Züge stoppt, wird belohnt

Der Bund zahlt Sachsen Millionen Mark für den Erhalt des Schienenverkehrs. Der Freistaat nutzt das Geld zweckwidrig, um Kommunen zu belohnen, die Strecken stillegen  ■ Von Gudrun Giese

Berlin (taz) – In Sachsen sollen künftig die Kommunen belohnt werden, die in ihrem Bereich dulden, daß das Land den Schienenverkehr abbestellt. Wie aus einem Verordnungsentwurf des sächsischen Wirtschaftsministeriums hervorgeht, werden den Gebietskörperschaften fünfzig Prozent der gesparten Gelder zugesagt. Der bisher unveröffentlichte Entwurf liegt der taz vor.

Skandalös an dem Vorgang ist, daß es sich bei den Geldern um Bundesmittel handelt, die zweckgebunden für den regionalen Schienenverkehr an die Länder beziehungsweise die kommunalen Aufgabenträger gehen. In Sachsen ist das Land Träger des Schienennahverkehrs; die kommunalen Zweckverbände sollen die Zuständigkeit 2002 übernehmen. Schon im Spätsommer tauchte das Gerücht auf, daß der Freistaat mit Stillegungsprämien beschleunigt das Schienennetz für den Nahverkehr ausdünnen will (taz vom 17.8.).

Im August wollte eine Mitarbeiterin des sächsischen Wirtschaftsministeriums weder bestätigen noch dementieren, daß eine Stillegungsprämie vorgesehen ist. Im hauseigenen Verordnungsentwurf, der von Anfang Juni datiert, heißt es jedoch eindeutig, wenn auch bürokratisch-verquast: „Von den aufgrund der Verminderung der Verkehrsleistungen (...) noch zur Verfügung stehenden Mitteln (...) erhalten die kommunalen Aufgabenträger oder deren Zusammenschlüsse 50 von Hundert.“ Dieses Geld solle unter Berücksichtigung der Zweckbindung vor allem zur Förderung des Schienennahverkehrs eingesetzt werden.

Der Haken: Da die sächsischen Kommunen nicht die Hoheit über den regionalen Schienenverkehr hätten, erklärt Albert Schmidt, bahnpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Bündnisgrünen, könnten sie das rücküberwiesene Geld lediglich in die örtlichen Busunternehmen stecken. Bis zu 55 Millionen Mark könnten zweckwidrig in Stillegungsprämien fließen, wenn Sachsen seine seit längerem bestehenden Pläne realisiere, bis zu 500 Kilometer des Schienennahverkehrs abzubestellen.

Schmidt hat nun in einem Brief an Bundesfinanzminister Theo Waigel auf die in Sachsen geplante Zweckentfremdung der vom Bund gezahlten Regionalisierungsmittel hingewiesen. „Sollte diese Verordnung Wirklichkeit werden“, schreibt der Abgeordnete, „ergäbe sich für die Kommunen die im Sinne des Regionalisierungsgesetzes perverse Situation, daß sie durch eine Anreizprämie dafür belohnt würden, wenn sie sich mit der Stillegung von Schienennahverkehr abfinden und statt dessen auf Bussysteme ausweichen.“

Schon jetzt schreitet die Schrumpfung des sächsischen Schienennetzes stetig voran: Auf 157 Kilometern ist seit einigen Wochen der Nahverkehr abbestellt; bis zum 27. Mai kommenden Jahres wird voraussichtlich auf weiteren 250 Kilometern des Netzes der letzte Nahverkehrszug gefahren sein. Die Zweckentfremdung knapper Bundesmittel kann nun wohl nur noch Finanzminister Waigel verhindern.