Bundeswehr: Zurück, marsch, marsch!

Das Bundesverwaltungsgericht entschied: Eine Einberufung ist nur dann erlaubt, wenn sie eine zugesagte Lehrstelle nicht gefährdet. Das Gericht reagierte damit auf die dramatisch veränderte Lehrstellensituation  ■ Von Vera Gaserow

Berlin (taz) – Die Bundeswehr darf junge Männer nicht um eine sichere Lehrstelle bringen. Das hat gestern das Bundesverwaltungsgericht entschieden. Künftig können Wehrpflichtige eine Zurückstellung vom Bund verlangen, wenn „mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, daß der Betroffene nach Ableistung des Wehrdienstes diese Ausbildung weder an derselben Stelle noch anderweitig nachholen kann“. Mit dieser Entscheidung haben die Bundesverwaltungsrichter ihre langjährige Rechtsprechung korrigiert und der dramatisch veränderten Situation auf dem Lehrstellenmarkt erstmals Rechnung getragen. (AZ: BVerw G 8 C 21.97)

Die Richter hatten über den Fall eines jungen Mann aus Niedersachsen zu entscheiden, der zum Zeitpunkt seiner Einberufung eine Zusage für einen Ausbildungsplatz bei der Post hatte (taz vom 17. 10. 97). Die Lehre zur „Fachkraft für Brief- und Frachtverkehr“ sollte allerdings erst vier Monate nach Antritt seines Grundwehrdienstes beginnen.

Bisher galt eine noch nicht begonnene Ausbildung nicht als Zurückstellungsgrund. Das Verwaltungsgericht Lüneburg hatte dem Begehren des jungen Mannes jedoch stattgegeben – „angesichts der schwierigen Situation auf dem Lehrstellenmarkt“, wie das Gericht begründete. Die Unsicherheit, erneut eine entsprechende Lehrstelle zu finden, bedeute eine „besondere persönliche Härte“, die das Wehrpflichtgesetz als Grund für eine Zurückstellung vom Wehrdienst ansieht. Die Bundeswehr war gegen die Entscheidung vor das Bundesverwaltungsgericht gezogen.

Die höchsten Verwaltungsrichter vermochten sich gestern offenbar nicht der dramatisch veränderten Realität zu verschließen. Sie verordneten der Bundeswehr ein „Zurück, marsch, marsch!“ Der „hinreichend wahrscheinliche Verlust des Zugangs zu einem bestimmten Beruf“ sei als besondere Härte einzustufen. Allerdings müßten die Betroffenen nachweisen, daß ihnen durch die Einberufung der Zugang zu dem angestrebten Beruf „endgültig oder doch auf längere Zeit“ verloren gehe. Um das zu prüfen, verwiesen die Bundesrichter den Fall des jungen Postlers an das Lüneburger Verwaltungsgericht zurück. Dort stehen dessen Chancen nicht schlecht, denn die Post hatte erklärt, es sei völlig unsicher, ob der klagende Azubi nach Ablauf seines Dienstes je wieder eine Lehrstelle bei ihr fände. Volker Nebelsieck, der Celler Anwalt des jungen Mannes, erklärte, nun sei der Gesetzgeber gefordert, das Wehrpflichtgesetz entsprechend zu ändern.

In einem anderen Fall hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, daß Firmeninhaber, die durch die Einberufung zum Bund um den Fortbestand ihres Betriebes fürchten, nur nach genauester Prüfung vom Wehrdienst zurückgestellt werden können. Allein der befürchtete Verlust von Aufträgen für einen Betrieb sei kein Rückstellungsgrund, denn das käme letztlich einer Befreiung von der Wehrpflicht gleich.