TV-Fußball auf Zeit gerettet

■ Zur Halbzeit scheint die Fußballnation den Streit um Sport im Pay-TV für sich entschieden zu haben: Länderchefs wollen, daß alle deutschen WM-Spiele live und kostenlos zu sehen sind

Plötzlich will es keiner mehr gewesen sein: Da ist für Bayerns CSU-Ministerpräsident Edmund Stoiber der Fernsehfußball ein „Grundnahrungsmittel“. Da räumt Bertelsmann-Boß und Pay- TV-Betreiber Mark Wössner ein, die Weltmeisterschaft der Kicker sei so etwas wie „Allgemeingut“. Da fordert DFB-Präsident Egidius Braun, die Weltmeisterschaftsspiele der Deutschen müßten auf jeden Fall frei empfangbar sein, und des Kanzlers Staatsminister Anton Pfeifer sagt, alles andere sei „von vornherein weltfremd“ gewesen. Selbst Kurt Beck, jener Mainzer SPD-Regierungschef, der noch in den letzten Tagen unter den Ministerpräsidentenkollegen um Verständnis für die Refinanzierungserwartung des WM-Käufers Leo Kirch geworben hatte, zeigt sich nun zufrieden.

Es ist Halbzeitpause im Kampf um den Fernsehfußball, und die Nation der Glotzer scheint einstweilen einen Sieg errungen zu haben: Die Länderregierungschefs beschlossen am Donnerstag in Stuttgart, mit Leo Kirch, dem die WM-Rechte gehören, und den Sportverbänden neu zu verhandeln. Und auch das Mindestergebnis legten sie fest: „Jedenfalls die Spiele der deutschen Fußballnationalmannschaft“, so heißt es unmißverständlich in dem Beschlußprotokoll, sollen live und ohne Extragebühren im TV zu sehen sein.

Und wenn Kirch nicht nachgibt, drohen die Länder, dann kommt ein Gesetz: In diesem Fall soll auf jeden Fall eine Liste freier Sportereignisse in den Staatsvertrag aufgenommen werden, so wie es eine Richtlinie aus Brüssel den EU- Mitgliedsländern ausdrücklich an die Hand gibt. Gegen eine gesetzliche Liste hatte bislang insbesondere Bayerns Regierung opponiert. Jetzt droht selbst Stoiber mit gesetzlichen Maßnahmen, obwohl er noch im März einen anderslautenden Beschluß der Ministerpräsidenten durchgesetzt hatte.

Mehr noch: Selbst wenn es zu einer freiwilligen Vereinbarung mit Kirch & Co. kommen sollte, soll diese rechtlich abgesichert werden, so das Protokoll. Und auch um eine „Öffnungsklausel für besondere Ereignisse“, wie sie unter anderem Schleswig-Holsteins Heide Simonis (SPD) verlangt hatte, soll es bei den Verhandlungen gehen. Motto: Gewinnt Jan Ullrich, ist auch die Tour de France ein nationales Ereignis.

Der Beschluß der Regierungschefs ist schon eine kleine Revolution. Denn als Leo Kirch sich im Sommer 1996 die WM-Rechte mit der Pay-TV-Option für 3,4 Milliarden Mark sicherte, da vollzog sich das ebenso fast unter Ausschluß der Öffentlichkeit wie die anderen gemeinsamen Pay-TV-Pläne der Konzerne Kirch und Bertelsmann. Und als die EU kostenfreies Sportfernsehen zur Regel machte, da widersprachen sowohl die Bundesregierung – auf Ansinnen Stoibers – wie auch die Bundesländer. Dennoch ist eben erst Halbzeit und daher noch längst nicht alles geregelt beim freien Sportglotzen. Gut möglich, daß am 18. Dezember, wenn die Regierungschefs die Verhandlungsergebnisse der Staatskanzleichefs von Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Bayern sichten wollen, es einige schon wieder weniger hart sehen. Zudem soll die Festlegung zunächst eine Laufzeit von fünf Jahren haben. Nach der WM von 2006 ist dann also alles wieder offen. Und erst danach könnte Pay-TV für Kirch/Bertelsmann das ganz große Geschäft werden, sagen Experten. Keiner weiß zudem, wie eine Klage von Kirch gegen eine gesetzliche Regelung ausgehen könnte. Kirch gibt sich zwar einerseits kompromißbereit (das Viertelfinale könnt ihr haben), andererseits aber pocht er auf sein Eigentumsrecht und droht mit Klage.

Wichtige Anhaltspunkte könnte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Kurzberichterstattungsrecht geben, worüber in Karlsruhe am 11. November verhandelt wird. Neunzig freie Sekunden gestehen die Länder den Sendern auch von längst verkauften Sportereignissen (wie etwa der Bundesliga) zu – die Bundesregierung klagt dagegen. In der Sache geht es genau um den Konflikt von Eigentumsrecht (an den Sportrechten) und von Informationsfreiheit, der nun zum Fußballkrieg führte. Lutz Meier