Gestern noch quicklebendig...

■ ...und heute schon tot? Bei den Hofer Filmtagen war der ultimativ letzte neue deutsche Film zu sehen, außerdem manches erfreulich Unzeitgemäße und vieles einfach nur zum Wegschauen

Hof ist cool: Im Kino Central wehte ein Eiswind, daß es einem den Anorak hochhob, im Foyer wurden „Bauern“ paarweise für 3 Mark verkauft, und im Zedtwitzer Café „Fernverkehr“ stellte die Gruppe Vomit aus Erfurt ihre neue CD, „Bum Bum“, vor. Und dann waren da noch 87 Kurz- oder Langfilme aus dem Programm der 31. Hofer Filmtage wegzuschauen.

Wie das mit dem Kino ist, erfährt man am besten im Kino selbst. Dialog aus dem Eröffnungsfilm: „Magst du Kino?“ – „Nö.“ – „Ich hab' Freikarten.“ – „Was muß ich mir da anschauen?“

Vivian Naefes „2 Männer + 2 Frauen = 4 Probleme“. Der Film kommt nächstes Jahr ins Kino, wäre aber schon jetzt gut im Fernsehformat „Bewegende Momente“ aufgehoben. Hera Lind meets Road Movie – falls so etwas möglich ist. Die turbulente Reise endet in Venedig. Zwei trennen sich, zwei finden sich, alle betrügen sich, lustiglustig. Ihr Produkt kündigte die Regisseurin an als eine Mischung aus „Komödie und Gefühl“. Sie sagt tatsächlich „...und Gefühl“, als wär's ein neues Genre.

Nicht mehr um Genres – wie seinem großen Vorbild Rainer Werner Fassbinder –, sondern um das „Überprüfen von Materialien“ geht es Christoph Schlingensief in „Die 120 Tage von Bottrop – der letzte neue deutsche Film“. Ein letztes Mal (?) fährt er sein gesamtes audiovisuelles Terrorinstrumentarium auf, um dann mit expressionistischem Erneuerungspathos dessen Überwindung zu fordern. Der Autorenfilm als „sprechender Atompilz“ und Autorenfilm to end all Autorenfilms. Schlingensief haßt rote Fäden. Einmal zeigt er einen Mann, der hat unten nur 'nen Faden dran. Wo ist der Schwanz? Hin. Im Vorfilm war er noch da. Protagonist des ersten neuen deutschen Films ist nämlich ein echter Penis in Nahaufnahme, der mit leicht italienischem Akzent das Filmförderungsgesetz rezitiert. Das war 1967 entschieden zuviel für die Oberhausener Juroren – doch für Hof ein Glücksphall. Denn aus Protest gegen die Ausbootung von Helmut Costards besonders wertvoll in Oberhausen machte Heinz Badewitz im Fränkischen prompt sein eigenes Festival auf. 30 Jahre später liefen nun dieser erste und jener letzte neue deutsche Film an einem Abend direkt hintereinander. Extra als Überraschung für Geburtstagskind Christoph, 37. Und daß der Projektor beim Vorfilm nicht gleich funktionierte, war fast eine weitere Verbeugung vor dem Jubilar, der laut eigenem Bekunden ja auch nicht funktionieren will – schon gar nicht als Provokateur.

Der Zwang zum Funktionieren ist ein Phänomen, das in Hof immer als die Münchener Krankheit firmierte. Nicht mehr nur überproduzierte Meterware ist aber das Problem, sondern daß echte und eingebildete Sachzwänge zu Konventionalität verpflichten. Inzwischen würden doch weitgehend die Fernsehredakteure die Filme machen, war von jungen RegisseurInnen zu hören. Und die hätten eben sehr eingeschränkte Vorstellungen von dem, was gehe und was nicht. Die Frage, warum so viele Kinofilme aussehen wie Fensehen, wird von den Klagenden schnell beantwortet: weil das Fernsehen dafür zahlt. Und weil den Produzenten, so heißt es, der Mut fehlt, für ästhetisch riskantere Projekte den Kopf hinzuhalten.

Daß Jammern an und für sich pfiffig sei und der Wunsch nach Glücklichsein dämlich, meint ein pessimistischer Schweizer (Max Rüdlinger) zu seinem optimistischeren Landsmann (Polo Hofer) in Clemens Klopfensteins „Das Schweigen der Männer“. Rüdlinger und Hofer – ein bekannter Schauspieler der eine, eine Rock- Ikone der andere – agieren in Klopfensteins Doku-Wandervideo symbolisch das ewige Wechselspiel zwischen den Extremen aus. Der eine (Hofer) ist weltoffen und bleibt daheim, der andere (Rüdlinger) ist provinziell und geht fort. Aber zum Schluß sitzen beide auf demselben Kamel und debattieren vor dem Hintergrund einer Pyramide die Vorzüge Schweizer Wurstsalats. Ein hinreißendes Kabarettstück in eigentlich postkabarettistischen Zeiten.

Daß das geht, bewiesen auch zwei erfreulich unzeitgemäße Produktionen aus Deutschland. Matl Findels „Alle Zeiten der Welt“ und Lars Büchels „4 Geschichten über 5 Tote“, jeweils der erste längere Film der beiden Regisseure. Findel erzählt wunderbar verhalten und ohne erkennbares Ziel aus dem Alltag von fünf Menschen und einem Hund, die, unaufdringlich für andere, über sich nachdenken und versuchen, ihr Leben ohne große Gesten in den Griff zu bekommen. Was in erster Linie dem Hund (großartig: Feldmann) gelingt.

Lars Büchel hat einen berükkend normalen (Schwarzweiß-) Film über den Tod gemacht, der seine Poesie daraus bezieht, daß er das Lustige im Traurigen ernst nimmt. Wenn die Toten tot sind, schauen sie aus dem Himmel (der beim Kieler Büchel natürlich ein Landesteg mit Ausblick aufs Wasser ist) durch lange Fernrohre auf die Erde und gucken sich erst mal ihre eigene Beerdigung an. Dabei lernen sie auf eine Weise staunen, wie sie es im Leben nicht für möglich gehalten hätten. Und sie lauschen, aus weiter Ferne so nah, den haarsträubendsten Trauerreden „Gestern noch quicklebendig – aber heute schon tot: So war er immer“. Was präzise auch auf den deutschen Film zutrifft.

Vor der Premiere des Director's Cut von „Am Ende der Gewalt“ sagte Wim Wenders noch leichtsinnig: „Die Schauspieler und das Team waren hervorragend. Der einzige, der den Film noch in den Sand setzen konnte, war ich.“ Nach dem Film, den er wohl als Essay verstanden haben wollte und der sich folgerichtig über weite Strecken als eine unersprießlich-esoterische Multimedia-Veranstaltung entpuppte (Bildtelefone! Internet!! Unterwasserfaxgeräte? Überwachung!!!), war es lange peinlich still. Dann stellte jemand eine inhaltliche Frage: ob das Ganze jetzt analog oder digital geschnitten sei. Oliver Fuchs, Axel Henrici