Ein Demo-Verbot und viele Mißverständnisse

Das thüringische Saalfeld hat eine linke Demo verboten. Mit dem Versagen gegenüber Rechtsradikalen findet man sich eher ab  ■ Von Jens Rübsam

Die linke Demo verboten. Die rechte Demo verboten. Den „Tag X“ (Lokalzeitung) überstanden. Die „Chaostage“ (NPD Thüringen) unterbunden. Das war vor zwei Wochen. Landrat Thomas lehnt sich zufrieden zurück. Es ist nicht ganz klar, wieso. Vielleicht, weil über Thüringen die Sonne scheint. Vielleicht, weil sich die Beamten der städtischen Polizeidirektion jetzt wieder um Holzdiebstähle kümmern können.

War was?

Monatelang war in der thüringischen Kleinstadt Saalfeld um eine Demonstration gestritten worden. Am Samstag, den 11. Oktober sollte sie stattfinden. Ein Bündnis aus Antifa-Gruppen, Gewerkschaften und Parteien hatte die Parole „Den rechten Konsens durchbrechen“ ausgegeben und in einem ersten Aufruf formuliert: „Ein Versuch, Saalfeld und Umland in ein Netzwerk faschistischer Organisierung zu integrieren, ist, ein ,Nationales Jugendzentrum‘ aufzubauen.“ Rechter Konsens im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt? Nationales Jugendzentrum? Der Landrat und CDU-Mann Werner Thomas war einer der ersten, die sich aufregten: „Es gibt ihn nicht, den rechten Konsens.“ Die Stadtverwaltung wehrte sich in einem offenen Brief: „Es wird der Eindruck vermittelt, als wäre die Stadt bzw. der Landkreis eine von den Behörden zumindest geduldete faschistische Hochburg.“

Auch die evangelische Kirche fühlte sich angegriffen. Sie bezog die Bezeichnung „Nationales Jugendzentrum“ auf das erst im Juli eröffnete Stadtteilzentrum Gorndorf: ein offenes Haus, so Saalfelds Bürgermeister Richard Beetz (CDU), für alle Menschen im Neubaugebiet Gorndorf. Gebaut wurde die Freizeit- und Begegnungsstätte für 4,5 Millonen Mark von Stadt, Landkreis und Thüringer Wirtschaftsministerium. Getragen wird sie vom Diakonischen Werk. Ein bewußt geschaffenes rechtes Zentrum unter dem Dach der Kirche?

Die NPD drohte mit „Schutt und Asche“

Es nützte nichts mehr, daß das Antifa-Bündnis später klarstellte: Mit „Nationalem Jugendzentrum“ sei nicht das Gorndorfer Stadtteilzentrum gemeint, sondern ein von Rechtsextremen seit Herbst 1996 gefordertes „Nationales Zentrum“ in Saalfeld. Damals hatten 35 rechte Jugendliche in Gorndorf eine verwaiste Lagerhalle besetzt und Geld gefordert, um sie zu ihrem Treffpunkt umzubauen. Leiter der Aktion: Tino Brandt, landkreisbekannter Rechtsextremist, Redakteur der zum nationalen Medienverband gehörenden Neuen Thüringer Zeitung und Mitaufrufer verschiedener Rudolf- Heß-Aufmärsche im Landkreis.

Worauf die Aufrufer zu der linken Demo allerdings bestanden, war die Parole vom „rechten Konsens“. Der Vorwurf sei berechtigt, bekräftigt Christine vom Antifa- Bündnis: „Rassimus in den Köpfen, eine intolerante Bevölkerung, kein Nachdenken in der Stadt, warum die Rechten so drauf sind, eine große Naivität und Verharmlosung jeglicher rechter Aktionen.“

Tatsächlich ist der Landkreis Saalfeld-Rudolstadt seit Jahren Schauplatz rechtsextremistischer Gewalt: 1992 marschieren 2.000 Neonazis zu ihrem Heß-Gedenktag durch Rudolstadt. 1993 stürmen 20 Skinheads eine Dorf-Diskothek und verprügeln die Gäste mit Baseballschlägern. Am selben Wochenende werden zwei Vietnamesen bei Rudolstadt zusammengeschlagen. 1994 verletzen Skinheads im Saalfelder Stadtteil Gorndorf einen Kubaner schwer. 1995 stören Rechtsradikale in Rudolstadt und Saalfeld Kranzniederlegungen für die Opfer des Faschismus. An einem Gedenkstein findet die Polizei einen Sprengsatz. 1997 werden in Rudolstadt erneut Asylbewerber überfallen.

Die antifaschistische Demo sollte zum erstenmal ein Zeichen gegen diese rechte Gewalt setzen, so das Antifa-Bündnis. Aber dazu kam es nicht. Der Thüringer NPD- Landesverband meldete für den gleichen Tag eine Demo „Gegen linke Gewalt“ an und faxte ein Schreiben in das beschauliche Städtchen, in dem die Rede war von „Saalfeld“ und von „Schutt und Asche“. Zwar wurde die Anmeldung später zurückgezogen, längst aber waren die „Jungen Nationaldemokraten“ eingesprungen mit einer Demo-Anmeldung in Rudolstadt „gegen linke Hetze, Lüge und Gewalt“.

Das Landratsamt verbot die antifaschistische Demonstration mit der Begründung, Saalfeld vor „schwarzen Blocks“ schützen zu müssen: „Es steht fest, daß Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung billigend in Kauf genommen wird.“ Auch die Demo der „Jungen Nationaldemokraten“ verbot das Landratsamt, weil Erkenntnisse vorlägen, daß sich „Personen der rechten Szene in Saalfeld nach 50 Schutzhelmen mit Visier und nach T-Shirts mit der Aufschrift „Polizei“ erkundigt hätten: „Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit steht fest, daß bei Durchführung der Demonstration die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährdet ist.“

Freilich, der „Tag X“ war nicht mehr aufzuhalten. Die linke Demo war zwei Tage, die rechte einen Tag vorher verboten worden. Beide Gruppierungen hatten bundesweit mobilisiert.

Polizisten aus sechs Bundesländern wurden zur Durchsetzung der Verbote nach Saalfeld beordert, laut offiziellen Angaben 2.800. Der grüne Landessprecher Olaf Möller wirft dem thüringischen Innenminister und SPD-Landesvorsitzenden Richard Dewes vor, er habe den Anlaß mißbraucht, um die SPD als Partei der Inneren Sicherheit zu profilieren. Das Landratsamt richtete eine stillgelegte Justizvollzugsanstalt als Gefangenensammelstelle ein. 488 Personen wurden in Sicherheitsgewahrsam genommen, darunter 428 Personen aus der linken Szene.

Die Polizei durchsuchte ein alternatives Saalfelder Wohnprojekt – festgenommen wurden 14 Personen, gefunden wurden ein Küchenmesser, ein Reizgasspray und etwa 1,5 Gramm Haschisch. Durchsucht wurde auch eine Dorfgaststätte im Nachbarort Heilsberg, lange bekannt als rechter Treffpunkt – festgenommen wurden 56 Personen, gefunden wurden unter anderem 70 selbstgefertigte Stichwaffen, Reizgas, acht Äxte, Seitengewehre, Gasmasken, Schreckschußwaffen und ein stabsmäßig aufgebautes Funksystem. Später präsentierte Innenminister Dewes den Fund als bislang größtes Waffenarsenal Thüringens.

War was?

Landrat Thomas rückt sich zurecht auf seinem Stuhl und spricht von einer „ganz normalen Atmosphäre“ an jenem Wochenende des 11. und 12. Oktober im Landkreis. Gab es eine bewußte Kriminalisierung der Linken? Linke oder Autonome, sagt Thomas hinein in sein aufgeräumtes Arbeitszimmer, könne man nicht gleichsetzen mit friedfertigen Menschen. Die, die Demo mit vorbereitet hätten, seien in der Region bekannt als gewaltbereite Menschen. Die meisten, die im alternativen Wohnprojekt lebten, hätten ein Vorstrafenregister, geprägt durch das Delikt Körperverletzung, „nicht nur begangen mit Körperkräften, auch mit Waffen“. Es sei ein Märchen, daß Gewaltbereitschaft nur bei Rechten bestehe. Aktenkundig sei: Seit Herbst 1996 gebe es von Rechtsradikalen keine Gewaltaktionen im Landkreis, die habe es fast ausschließlich von Linken gegeben. Im Thüringer Verfassungsschutzbericht sind 1996 939 Straftaten mit rechtsrextremistischem und 59 mit linksextremistischem Hintergrund verzeichnet; der Raum Saalfeld/Rudolstadt ist als ein Schwerpunkt der Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen der links- und rechts orientierten Szene ausgewiesen.

Wie viele Rechtsradikale gibt es im Landkreis? Landrat Thomas überlegt einen Augenblick. Dann streckt er energisch die Hände vor und gibt sich sicher: „Die sogenannten Rechtsradikalen, das sind zwei Handvoll. Bei 138.000 Einwohnern.“ Damit verabschiedet sich der Landrat und eilt zum nächsten Termin. Sein Sozialdezernent Steffen Herbst will noch notiert wissen: Der Landkreis Saalfeld- Rudolstadt stehe im Land Thüringen, bezogen auf die Einwohnerzahl, an zweiter Stelle bei den Investitionen in die Jugendarbeit.

Angelo Lucifero von der Landesarbeitsgemeinschaft Antifaschismus/Antirassismus und Anmelder der verbotenen Demonstration, muß lachen und spricht von 150 Rechtsradikalen in der Region. Die Antifa-Gruppe schätzt die Zahl auf 40 bis 50 allein im Stadtgebiet von Saalfeld. Und selbst Saalfelds Jugendpflegerin Hanka Glembotzki geht von einem harten Kern von 20 Personen aus. Die anderen, vor allem die 12- bis 15jährigen, würden Orientierung suchen und hinterherlaufen.

Glembotzkis Beobachtungen könnten aus jener Zeit stammen, als sie noch Lehrerin an einer Polytechnischen Oberschule war. Ziel der Stadt müsse es sein, tut auch Sozialdezernent Gerhard Meyer in väterlichem Tonfall kund, die Jugendlichen auf andere Gedanken zu bringen, sie vom ideologisierenden Kern wegzubekommen, denn: „Die Führung staatlicherseits gibt es ja nicht mehr.“ Meyer selbst hatte viel Hoffnung in das neue Stadtteilzentrum Gorndorf gesetzt.

Am Rand der Neubausiedlung Gorndorf sitzt – seit Juli in fertigem Zustand – ein ufoartiger Neubau mit einer weißen Kuppel obenauf, der Sternwarte. Zwei Eingänge führen in das Begegnungszentrum. Einer in den oberen Teil, wo sich Bar, Info-Büro, der Raum für Selbsthilfegruppen, und ein Kinderraum aneinanderreihen. Der andere in den unteren Teil, wo auch eine Bar ist, ein Raucherzimmer, ein Billardraum und eine Diskothek. Natürlich verbindet eine Treppe die beiden Etagen. Aber schon nach den ersten Wochen war klar: Oben gehen die Kinder, Frauen und verschiedene Gruppen rein, unten die Jugendlichen aus Gorndorf und Umgebung: Vorrangig sind es rechts orientierte Jugendliche.

Mit der baulichen Lösung ist die Hausherrin, Superintendentin Maritta Krüger, nicht gerade glücklich. „Wir konnten da nicht mitreden. Erst als das Haus fertig war, hat die Diakonie die Trägerschaft übernommen.“ Mit der Entwicklung ist sie auch nicht gerade glücklich. Noch fehlt ein Konzept für eine pädagogische Sozialarbeit mit rechten Jugendlichen. Dabei war klar, daß das Haus diese von der Straße holen soll. So hatten es sich Landrat Thomas wie auch die Sozialdezernenten von Landratsamt und Stadtverwaltung gewünscht.

Das sollen nun unter anderem Simone Baum und Kerstin Lammert versuchen, die beiden Sozialarbeiterinnen. Die eine eine kleine, energische Frau, die früher als Verwaltungsangestellte im Kölner Jugendamt gearbeitet hat und die die Arme gern resolut vor der Brust verschränkt; die andere eine zarte Frau mit sanfter Stimme, von Beruf Feinwerkingenieurin aus Saalfeld und jetzt, nach der Umschulung, Sozialarbeiterin, die, zugegebenermaßen, die Stelle mit gemischten Gefühlen angetreten hat. Ihr war klar, wie allen klar war, was für Jugendliche in Gorndorf leben.

Nicht klar war, ob diese Jugendlichen auch ins Haus kommen. Für Superintendentin Krüger eine beliebte Begründung, warum ein Konzept für das Haus noch immer nicht so richtig steht.

Sozialarbeit soll die Rechten zähmen

Simone Baum und Kerstin Lammert reden und rauchen unisono. Sagen, daß sie mit den Jugendlichen gut auskommen, daß sie keine Akzeptanzprobleme haben, daß viele der Jugendliche Lehrstellenprobleme haben, daß sie glauben, die politische Meinung der Jugendlichen ändern zu können, daß sie auf Erlebnispädagogik setzen. Grillfeste, Fußballturniere, einen Hundezwinger bauen, das nächste Projekt, weil doch die Hunde der Jungs irgendwo bleiben müssen. Angst? Simone drückte ihre Arme fest an die Brust: „Wenn du Angst hast, brauchst du hier gar nicht zu arbeiten.“ Drinnen im Arbeitszimmer sitzen die kahlgeschorenen Jungs brav um einen Tisch herum und rauchen.

Über Saalfeld scheint die Sonne. Übern Marktplatz schleicht die Beschaulichkeit. Hinter den Türen von Stadtverwaltung und Landratsamt herrscht eine seltsame Mischung aus Ratlosigkeit und Wut. Mit dem Geld, das der Einsatz zur Durchsetzung des Demo-Verbots gekostet hat, „hätten wir zehn Jahre Jugendarbeit finanzieren können“ – Sozialdezernent Gerhard Meyer haut wütend auf den Tisch! Ratlos ist er, wie mit den beiden Szenen – links und rechts – in Saalfeld umzugehen ist. Warum haben sich die Linken gerade auf dieses neue Jugendzentrum eingeschossen? So kurz nach der Eröffnung? Es bleibt bei Ratlosigkeit.

Von der Landesarbeitsgemeinschaft Antifaschismus/Antirassismus wurde indes für Anfang kommenden Jahres die nächste antifaschistische Demonstration angekündigt.