Spuren führen nach Rostow am Don

■ Erster Erbe eines „schlafenden“ Schweizer Kontos kommt aus Rußland

Moskau (taz) – Noch vor zwei Wochen hatte Wladimir G. (seinen vollen Namen will er nicht nennen), Angestellter einer Privatfirma in Rostow am Don, es für einen schlechten Witz gehalten, daß ausgerechnet er der erste ermittelte russische Erbe eines „schlafenden“ Schweizer Kontos sein sollte. Während einer großangelegten Suchaktion war die Tageszeitung Kommersant Daily auf seinen Namen gestoßen. Die darauffolgende Berichterstattung der Zeitung über seine Familiengeschichte bewegte Wladimir G. schließlich dazu, seine Ansprüche ernstzunehmen.

Wladimirs Urgroßvater, Eduard Kobi, kam 1902 als Ingenieur aus der Schweiz nach Rußland und heiratete bald darauf in Rostow die schöne Jelena. Zur Hochzeit schenkte der Brautvater dem Paar ein Haus, das es 1910 verkaufte. Den Erlös legte Eduard auf ein Konto in seiner Heimat. Ein paar Jahre später begeisterte sich Kobi für die Oktoberrevolution – deren Protagonisten seine Liebe auf Dauer nicht erwidern sollten. Erst einmal wurde der Schweizer ein hoher Beamter im Nordkaukasus und lebte nicht übel.

1932 konnte er es sich leisten, mit Jelena und den beiden Kindern Jelisaweta und Wladimir die Stadt Bern zu besuchen, wo er Freunden und Bekannten vom Leben in der UdSSR vorschwärmte. Doch 1937 legten ihm die sowjetischen Machthaber nahe, mit seiner Familie das Land zu verlassen. Eduard weigerte sich, zumal seine Tochter, die Großmutter des heutigen Erben, gerade in Rostow geheiratet hatte. Sohn Wladimir Kobi verließ das Land und lebte bis in die siebziger Jahre in Bern als Ingenieur. Sobald die Politik der Sowjetunion dies erlaubte, seit Mitte der 60er Jahre, half er seiner Mutter Jelena finanziell und mit Päckchen. Sie starb 1979. Schon dreißig Jahre vorher hatte sie vom Tod ihres Mannes erfahren, der als „anglo- deutscher Spion“ in die Komi-Republik verbannt worden war.

Von dem Geld auf der Schweizer Bank hat Familiengründer Kobi niemandem aus der Verwandtschaft erzählt. Heute resultieren daraus zwei Fragen: Muß das Erbe geteilt werden? Und gibt es überhaupt Nennenswertes zu erben? Kobis Sohn, Wladimir Eduardowitsch, derselbe, der in Bern arbeitete, hatte zwei Kinder: Richard und Daniel. Über ihren Verbleib ist nichts bekannt. Ebensowenig weiß jemand etwas über den Stand des Kontos bei der Schweizer Bank. Könnte nicht Eduard das Geld 1932, bei seinem Besuch mit Familie in Bern, bis auf ein paar Franken aufgebraucht haben? Letzteres kann erst ermittelt werden, sobald Wladimir G.s Ansprüche auch amtlich anerkannt sind. Zur Dokumentation fehlt dem Rostower nur die Sterbeurkunde seines Vaters. Die Zeitung Kommersant hofft, daß sich die Schweizer Bank in dieser Frage der Logik beuge. Es ist kaum anzunehmen, daß Eduard Kobi unter den unmenschlichen Bedingungen der Verbannung das gesunde Alter von 120 Jahren erreicht hat. Barbara Kerneck