■ Vorschlag: „Skandinavien und Deutschland 1800 bis 1914“ im DHM
Daß Deutschland und Skandinavien mehr verbindet als die Liebe zu Ikea, wissen alle, die sich für Geschichte interessieren, und sei es auch nur die jüngere der europäischen Königshäuser. Während sich die Yellow-Press-Fans deshalb vor allem freuten, daß die deutsche Schwedenkönigin Silvia die Berliner Ausstellung „Wahlverwandtschaft Skandinavien und Deutschland 1800 bis 1914“ eröffnete, lag das Glück der Ausstellungsmacher mehr noch im positiven Gesamtbild der Beziehung zwischen Deutschland und den Nordländern. Tatsächlich ist das Verhältnis von geradezu ausufernder Freundschaft geprägt (sieht man mal von den zwei deutsch-dänischen Kriegen in jener Periode ab). Im übelsten Sinne ausufernd war freilich auch die deutsche Vergötterung der nordischen Rasse, die letztlich in den Blut-und-Boden-Wahn und die schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte führte.
Obwohl die von Norwegern, Schweden und Deutschen gemeinsam konzipierte Ausstellung eher die schöngeistigen Seiten der „Wahlverwandtschaft“ zeigt, bleibt nicht verborgen, wann und wie das überdrehte Deutschtum auf Touren kam. Die Suche der Deutschen nach völkischen Ursprüngen begann im 19. Jahrhundert und führte in der Vereinnahmung der nordischen Mythologie zu Auswüchsen, die künstlerisch hochtönend daherkamen (Wagners Nibelungenzyklus) oder einfach skurril. Da ging Kaiser Wilhelm II. samt Herrenbegleitung jeden Sommer mit seiner Yacht auf „Nordlandfahrt“ und trat so die erste Tourismuswelle gen Norden los.
Nebenher entdeckten auch deutsche Industrielle Norwegen, bauten Fabriken dort, belebten den Handel und ließen sich von den Urgermanen inspirieren, daß man eine Glühbirne ruhig „Wotan“ nennen könne. Andererseits waren deutsche Forschung und Technik bei den nördlichen Nachbarn hoch geachtet. Auch sonst fühlten sich die meisten Skandinavier den Deutschen sehr verbunden. Es gab einen regen Künstleraustausch. Viele Maler, Schriftsteller, Musiker, Architekten zog es in die jeweils andere Welt. Die skandinavischen Lebensreformer – ob Naturheilkundler, Nudisten oder Vegetarier – fanden schnell Nachahmer in Deutschland. So vielfältig wie die gegenseitige Befruchtung ist das Spektrum der 700 Exponate. Daß aus Platzgründen das Thema nur bis 1914 verfolgt wurde, ist zwar schade, aber insofern treffend, als dieses Datum auch eine Zäsur bedeutet. Damals erteilten die Skandinavier den kriegslüsternen Deutschen eine Abfuhr als Bündnispartner und beendeten so den Traum einer engen militärischen Verwandtschaft. Gunnar Leue
Bis 6.1. 1998, Deutsches Historisches Museum, Unter den Linden.
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