Politische Eiszeit in afrikanischen Tropen

Das Kabila-Regime in der Demokratischen Republik Kongo igelt sich ein und führt keinen Dialog mit anderen politischen Kräften. Die vergleichen Kabila zunehmend mit Mobutu – und ziehen daraus entsprechende Schlüsse  ■ Aus Kinshasa Daniel Stroux

„Sie blockieren Paß und Ticket. Sie wollen mich nicht reisen lassen.“ Joseph Olenghankoy steht just hinter der Paßkontrolle und vor dem Durchleuchtungsgerät am internationalen Flughafen von Kinshasa und schimpft. Im grauen Anzug und Schlips entspricht der langjährige Mobutu-Gegner nicht unbedingt dem Bild des radikalen Jungpolitikers, den er unter dem neuen Regime von Laurent-Désiré Kabila darstellt. Umringt ist Olenghankoy von einem Grüppchen von Mitreisenden aus der zweiten Garde der Politszene des Landes: Mitglieder des Übergangsparlaments aus Mobutus letzten Jahren, das von Kabila aufgelöst wurde. „Bis später“, heißt es dann. Man werde sich ja im Flugzeug treffen.

Doch Olenghankoy besteigt das Flugzeug nicht. Als die Mitreisenden bereits im Flugzeug sind, wird er verhaftet und die ganze Nacht festgehalten. Innenminister Mwenze Kongolo persönlich reist an. In der Nacht, so berichtet Olenghankoy später, hätte die Regierung dann sein Haus und Büro geplündert und alles mitgenommen, sogar Kleidung. Vier Tage später habe man ihm im Staatsfernsehen vorgeworfen, Waffen zu besitzen und mit 40.000 bezahlten Männern einen bewaffneten Widerstand gegen Kabila vorzubereiten. Olenghankoys Kommentar: „Kinshasa hat gelacht.“

Das ist kein Einzelfall. Noch auf dem Flughafen berichtet ein Mitstreiter von Olenghankoy, es gebe eine schwarze Liste von rund 2.000 Personen – frühere Mitglieder des Übergangsparlaments, ehemalige Mobutu-Anhänger, Geschäftsleute, Zeitungsherausgeber oder Journalisten – die aus der Demokratischen Republik Kongo nicht ausreisen dürften. Tatsächlich traf es letzte Woche Valentin Mubake, ein anderes wichtiges Mitglied der Opposition.

Olenghankoy ist, was seine offene Radikalität betrifft, auch innerhalb der internen Opposition im Kongo ein Sonderfall. „Der Typ wird nicht lange an der Macht bleiben“, sagt er zu Präsident Kabila. Was meint er damit? „Mit den gleichen Mitteln wie Mobutu“ werde man ihn stürzen, kommt die prompte Antwort. „Kabila respektiert nichts. Weder die Menschenrechte noch seine eigenen Versprechen.“ Das Verbot von Parteiaktivitäten, die alleinige Zulassung seiner „Einheitspartei AFDL“ und die Auflösung des Übergangsparlaments gleiche dem Stil Mobutus nach dessen Putsch 1965. Und: „Kabila ist nicht kompetent. Er kann eine Rebellion machen, aber keine Regierung führen.“

Olenghankoy verläßt zumindest rhetorisch das Prinzip der Gewaltlosigkeit, dem die alte und neue radikale Opposition in Kongo/Ex- Zaire unter Etienne Tshisekedi von der Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt (UDPS) offiziell immer noch anhängt. Doch auch in diesem Lager staut sich Frustration: Der Parteisitz der UDPS wurde im August restlos geplündert, 15 Mitglieder saßen über zwei Monate in Haft. Und die UDPS als beliebteste Partei in Kinshasa ist immer noch Meinungsmacher in der fünf Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt.

Aber das Vorgehen der Regierung Kabila gegenüber ihren Gegnern ist nicht eindeutig. Erst wird Olenghankoy verhaftet und als gefährlicher Rebell dargestellt – dann kann er gleich nach seiner Freilassung eine Pressekonferenz halten. Erst verkündet ein angeblicher Präsidentenberater, man könne wahrscheinlich nicht schon 1999 Wahlen abhalten, wie es Kabila nach seiner Machtergreifung angekündigt hatte – wenige Tage danach wird die lang angekündigte Verfassungskommission vereidigt, die den Prozeß hin zu Wahlen führen soll. Einerseits gibt es politische Verfolgung, andererseits wird Kritik in Kinshasa ungezwungen und ohne Angst geäußert.

Journalisten und Richter stehen unter Druck

Theoretisch sind die Gerichte unabhängig, und zugleich hat das neue Regime die Gültigkeit der Gesetze aus der Ära seit der Einführung des politischen Pluralismus 1990 bestätigt – darunter ist auch ein liberales Pressegesetz, das erst Mitte 1996 vom Übergangsparlament bestätigt wurde. Doch eben nur theoretisch: Der Herausgeber der Tageszeitung Le Phare sitzt wegen eines Artikels über Kabilas Präsidialgarde seit Anfang September in Haft. Nach dem gültigen Pressegesetz müßte nicht er, sondern der Verfasser des Artikels in Haft sitzen, und auch er müßte nach einer Frist von zwanzig Tagen freigelassen oder angeklagt werden.

Nach eineinhalb Monaten gibt es nun Verhandlungen zwischen der Vereinigung der Zeitungsherausgeber „Medias Libres – Medias pour Tous“ und der Regierung. „Der politische Druck auf die Richter ist enorm“, sagt ein Menschenrechtler. Auch die Medien stehen stark unter Druck, bestätigen übereinstimmend drei Journalisten von Oppositionsblättern: „Unsere Chefs werden immer wieder vorgeladen. Jetzt schikaniert die Regierung unter dem Vorwand, die Steuerzahlungen der letzten Jahre überprüfen zu wollen.“ Außerdem wurden verschiedene politische Sendungen in den privaten Fernsehanstalten verboten, die in Mobutus letzten Jahren noch toleriert wurden.

Nach einer Meinungsumfrage in der Hauptstadt zogen im September sechzig Prozent der Befragten Vergleiche zwischen dem Kabila-Regime und seinem Vorgänger Mobutu. Die Staatsbediensteten wurden nach Kabilas Machtübernahme zwar zunächst zum Teil bezahlt, aber seitdem nicht mehr; nun wird das Geld knapp, und die eingedämmte Hyperinflation der Mobutu-Ära wird zur Deflation. Die unbezahlten Soldaten greifen verstärkt zu Überfällen auf die Zivilbevölkerung, wie sie schon unter Mobutu gängige Praxis waren.

Eigentlich hatte Kabila versprochen, daß am 1. September eine Verfassunggebende Versammlung feierlich vereidigt werden sollte. Bis vor einer Woche wurde darüber nicht einmal mehr geredet. Informationsminister Raphael Ghenda, zugleich Pressesprecher der Regierung, antwortete auf die Frage danach: „Da müssen Sie den Präsidenten fragen.“ Nun aber gibt es eine 46köpfige Verfassungskommission. Daß der Informationsminister darüber nichts wußte – oder nichts sagen wollte –, wirft Fragen auf.

Auf dem Papier hat Präsident Kabila allumfassende Macht: Er regiert per Dekret, ernennt und entläßt die Mitglieder von Regierung und Verwaltung. Einerseits nutzt Kabila dieses selbst zugebilligte Recht. Kritiker beobachten eine „Katangisierung“ des politischen Lebens. Schlüsselpositionen des Regimes gehen an Leute aus der Südprovinz Katanga, Kabilas Heimatregion, und zwar an Angehörige des Luba-Volkes: Wiederaufbauminister Etienne Mbaya, Planungsminister Babi Mbayi, Zentralbankchef Jean-Claude Masangu, dazu Schlüsselposten im Geheimdienst ANR und im nationalen Sicherheitsrat, dort zum Beispiel der aus dem tansanischen Exil zurückgekehrte Kazadi Nyembwe. In dem ehemaligen US-Stützpunkt Kamina in Katanga wird eine spezielle Präsidialgarde ausgebildet. Dazu hat Kabila wichtige Luba aus der zentralen Provinz Kasai einbezogen, zum Beispiel Wirtschaftsminister Pierre Victor Mpoyo, der Kabila immer mal wieder vertritt. Der historische Oppositionsführer Tshisekedi, auch ein Luba aus Kasai, wird damit ausgegrenzt und isoliert.

Demokratie? „Fragen Sie den Präsidenten“

Drei weitere Gruppen zerren an der Macht in Kinshasa: zum einen die kongolesischen Tutsi, mit engen Bindungen nach Ruanda, politisch symbolisiert durch Außenminister Bizima Karaha und militärisch durch die Dominanz von Tutsi-Soldaten und ruandischen Kommandeuren in der Armee. Die Unterstützung durch Ruanda beim Krieg gegen Mobutu kommt dem neuen Regime teuer zu stehen: Kongo-Kinshasa zahlt „Kriegsschulden“, wie mehrere Gesprächspartner es ausdrücken: Geklaute, nach Ruanda verfrachtete vierradgetriebene Geländewagen. Das sind nur die nachweisbaren Güter – die durchlässigen Grenzen im Osten des Landes erlauben angeblich den ungehinderten Ausfluß von Gold, Diamanten und anderen edlen Gütern zu den Nachbarn.

Zudem gilt es als gesichert, daß Ruandas Lobby gezielt die Arbeit der UN-Kommission zur Aufklärung von Massakern an Hutu- Flüchtlingen während und nach dem Krieg behindert hat. Dem Kongo schadete diese Verweigerungshaltung: Anstelle einer schnellen Wiederaufbauhilfe von EU und USA wurde die geplante Zusammenarbeit auf Eis gelegt. Die kongolesischen Banyamulenge-Tutsi, aus deren Reihen der Krieg gegen Mobutu startete, werden demgegenüber nach und nach von der Macht verdrängt.

Politisch marginalisiert werden auch die „Angolaner“, die sogenannten Katanga-Gendarmen, die Ende der 70er Jahre nach zwei erfolglosen Putschen gegen das Mobutu-Regime aus Zaire nach Angola flohen und schließlich zu Kabilas Rebellen stießen, wo sie entscheidend am Sieg mitwirkten. Einer der mächtigsten von ihnen ist Vizeinnenminister General Faustin Munene. Doch 400 Katanga-Gendarmen sitzen seit mehreren Wochen in Lubumbashi, Hauptstadt von Katanga, im Gefängnis. Die Ausgrenzung dieser politischen Fraktion, die vehement für eine politischen Öffnung eintritt, führt zu neuem Rebellionspotential.

Viele Bewohner von Kinshasa fühlen sich fremdbestimmt – nicht unbedingt nur von dem kleinen östlichen Nachbarn Ruanda, sondern vor allem von der Diaspora, von den Exilanten, die nach zwanzig bis dreißig Jahren nun wieder zurückgekehrt sind. Die Mehrheit der Regierungsmannschaft, angefangen mit Kabila selber, zählt zu dieser Gruppe, welche ethno-regionale Bindung sie jeweils auch haben mögen. Die wenigen Minister, die die realen zairischen Verhältnisse der letzten Jahre selbst erlebten, sitzen in nachgeordneten Positionen – und ihre von der Macht ausgeschlossenen politischen Gruppierungen bezichtigen sie des Verrats.

Nun ist nicht einmal bei der Bildung der Verfassungskommission die politische Öffnung des Kabila- Regimes zugunsten derer, die jahrelang zu Mobutu in Opposition standen, erfolgt. Ihr Vorsitzender ist zwar Anicet Kashamura, ein aus Frankreich zurückgekehrter Exilant, der unter Patrice Lumumba, dem ersten kongolesischen Premierminister nach der Unabhängigkeit 1960, Informationsminister war und als vernünftig eingeschätzt wird. Aber bei der Bildung des 46köpfigen Gremiums wurde die politische Opposition nicht konsultiert und nicht berücksichtigt. Entsprechend stößt die Kommission bei Kabilas Gegnern auf Widerstand. Oppositionsführer Olenghankoy spottet: „Eine Verfassung ist keine Familienaffäre.“