SPD setzt aufs Alter

Der 26jährige Marco Bülow wollte in den Bundestag. Doch die Genossen wählten lieber ein Parteifossil  ■ Von Noel Rademacher

Berlin (taz) – Als Marco Bülow geboren wurde, saß Hans Urbaniak schon ein Jahr für die SPD im Bundestag. Heute ist Marco Bülow 26, und Hans Urbaniak sitzt immer noch im Bundestag. Aber: Am vergangenen Freitag traten die beiden gegeneinander an, als SPD-Direktkandidaten des Wahlkreises Dortmund/Mitte für die nächste Bundestagswahl. Die Basisgenossen hatten zwischen zwei Extremen zu entscheiden. Soll man den Grünschnabel Bülow nach Bonn schicken, wo er der Jüngste in der SPD-Fraktion wäre? Oder geht man auf Nummer Sicher und läßt noch einmal den mittlerweile 68jährigen Urbaniak ins Rennen gehen, der in der nächsten Legislaturperiode gute Chancen hat, Alterspräsident des Bundestages zu werden?

Letztendlich wollte die Basis doch kein Experiment wagen. Mit 77 Prozent votierten die Ruhr-Genossen für ihr alteingesessenes Parteimitglied Hans Urbaniak.

Dabei war Marco Bülow mit dem Versprechen angetreten, sich endlich mehr um den bisher sträflich vernachlässigten Nachwuchs in der ergrauten Ruhr-SPD zu kümmern. Schon in der Vergangenheit sei es Bülow gewesen, urteilt ein SPDler aus dem Wahlkreis, der Schülerpatenschaften angeregt habe. Und jetzt wolle er sich verstärkt um Kontakte zu Bürgerinitiativen bemühen. Das habe die Partei im Ruhrgebiet auch nötig, da sonst die jungen Leute die Grünen wählen. Seinem Rivalen Urbaniak wirft Bülow vor, er habe sich bisher „zu einseitig mit den Gewerkschaftlern“ beschäftigt. Programmatisch hatte Marco Bülow eine Annäherung an grüne Positionen gefordert: ökologische Steuerreform, Umstieg auf regenerative Energien. Auch eine Zusammenarbeit mit der PDS könne er sich vorstellen, „im Notfall auch auf Bundesebene“. Hans Urbaniak dagegen setzte weiterhin auf das klassische Thema der Ruhr- SPD: die soziale Abfederung des Strukturwandels in der Region. Das Thema Ökologie habe für ihn „keine Aktualität“. Über seinen jugendlichen Konkurrenten urteilt Hans Urbaniak scharf: Er habe bei ihm „keine klaren Positionen erkennen können“. Für einen wie ihn, der die jahrelange „Ochsentour“ durch die unteren Parteiebenen durchlaufen hat, ist die jugendliche Ungeduld Bülows, der von ganz unten sofort nach ganz oben wollte, provozierend. „Man kann nicht einfach so kommen und sagen: Hallo, hier bin ich, jetzt wählt mich mal“, verweist der 68jährige den 26jährigen in die Schranken. Den Vorwurf der Unerfahrenheit will Marco Bülow nicht auf sich sitzen lassen. Immerhin habe er sich zehn Jahre lang in der Politik engagiert: als Schülersprecher, Vorsitzender der Dortmunder Jusos und im lokalen SPD-Parteivorstand. Über den Ausgang der Abstimmung ist Bülow enttäuscht. „Letztlich haben nicht die politischen Inhalte entschieden, sondern der persönliche Einfluß bei den Genossen.“

Der Frust des Marco Bülow über den Umgang der SPD mit dem Nachwuchs ist kein Einzelfall: Bundesweit haben es Parteinachzügler schwer, höhere Positionen in der Partei zu ergattern. Gerade einmal 5 von 251 Sozialdemokraten im Parlament sind unter 35 Jahre. Dabei hatte der Bundesvorstand erst im vergangenen Herbst auf dem groß inszenierten Jugendparteitag in Köln feierlich das Ende der Blockade durch die Enkelgeneration verkündet. Mindestens mit 15 Kandidaten, die unter 35 Jahre alt sind, wollte die SPD im nächsten Bundestag aufwarten. Die Umsetzung jenes vollmundigen Beschlusses dürfte sich jedoch als schwierig erweisen, wie unter anderem das Dortmunder Beispiel zeigt. „Das mittlere Machtkartell betrachtet junge Genossen im Wahlkreis als Störfaktor“, klagte Andrea Nahles, die Bundesvorsitzende der Jusos, schon vor längerem. Nur acht bis zehn der 26 jungen SPDler, die als Direktkandidaten in den Bundestag einziehen wollen, gibt sie eine Chance.

Für Marco Bülow ist seine gescheiterte Kandidatur ein Beweis, daß die großspurigen Versprechungen von Köln nicht erfüllt werden: „Die Enkelgeneration hält weiter an ihren Posten fest“, sagt er verbittert. So wie einst die Nachfolger der „Brandt-Enkel“ am parteiinternen Aufstieg gehindert wurden, bis sie sich frustriert von der Politik abwandten, so drohe es jetzt auch der zweiten Nachfolgegeneration zu ergehen. „Wenn jetzt nicht der Umbruch kommt, kommt er nie“, warnt Marco Bülow und spricht die Befürchtung aus: „Dann hat die SPD keine Zukunft mehr.“