Auf Knopfdruck wackelt der Po

Bis 1990 gehörte Marcel.li Antúnez zur katalanischen Performancegruppe La Fura dels Baus. In Berlin ist er jetzt als „virtueller Sklave“ mit einer Ausstellung zu sehen  ■ Von Jenni Zylka

Vor einer Leinwand steht ein Mann. Er ist nackt bis auf einen Slip, sekundäre Geschlechtsmerkmale, Nase und Mund sind mit Metallklammern und Schläuchen an ein Computerterminal gekoppelt. Auf dem Bildschirm und der Leinwand prangt das Bild des Mannes, wie auf einem Seziertisch liegt er da, umrahmt von bunten Bildausschnitten. Klickt man mit der Maus Teile des Körpers auf dem Monitor an, so reagiert die mechanische Konstruktion: Die Klammern bewegen und verändern die gewählten Stellen, sie verziehen den Mund des Mannes zu einer Grimasse, sie lassen seine Pobacken hüpfen.

Marcel.li Antúnez, Mitbegründer und langjähriges Mitglied der katalanischen Performancetruppe La Fura dels Baus, wagt in seiner Solo-Performance „Epizoo“ ein interaktives Experiment zwischen Publikum und Künstler: Der Zuschauer darf und soll den Verlauf und die Musik der Performance per Mausklick bestimmen, er soll weitgehend in die Handlung eingreifen.

Der 38jährige Künstler hat mit „Epizoo“ versucht, „eine sexuelle Maschine zu konstruieren, mit der man sicheren Kontakt haben kann, trotz Aids. Die Maschine bewegt meine erotischen Körperteile, aber nicht nur aus Lust, ich will damit auch die Grausamkeit in den Menschen stimulieren. In christlichen Ländern wird dieser Opfergedanke sofort verstanden.“ Richtig schmerzhaft ist es zum Glück nicht, wenn die Metallklammern an seinen Brüsten wackeln: „Es ist eher etwas ungemütlich.“

Aber es stecken laut Marcel.li noch mehr Ideen in „Epizoo“: „die Konfrontation zwischen wirklichem Körper und virtuellem Körper. Der wirkliche Körper fühlt Vergnügen und Schmerz, der virtuelle fühlt gar nichts. Wir leben in einer virtuellen Gesellschaft: die Medien, Fernsehen und Computer, Videospiele. Ich will den Menschen eine Art Katharsis geben, auch wenn das etwas prätentiös klingt. [...] Ich glaube nicht an die Kunst als Philosophie. Um Ideen zu erklären, mag Philosophie genau richtig sein. Aber um Gefühle oder Sentiments auszudrücken, scheint die Kunst passender. Und außerdem braucht Kunst die Anteilnahme der Öffentlichkeit. ,Epizoo‘ ist nicht perfekt in der Präsentation dieser Ideen, es ist nur ein Schritt dorthin.“

Diesem Schritt ging einiges voraus. „In den 80ern mit La Fura zu arbeiten war aufregend. Aber Anfang der 90er haben wir angefangen, uns zu wiederholen. Außerdem begann La Fura, eine richtige Firma zu werden, mit sieben Leuten im Büro, Angestellten etc. Früher waren wir eine Performancetruppe: Wir selber waren die Performer und haben unsere eigenen Sachen gespielt. Das ist ein großer Unterschied für mich: Wenn du deine eigenen Ideen auf die Bühne bringst, machst du Performance, wenn du anderer Leute Texte interpretierst, ist es Theater. La Fura haben in den 90ern angefangen, Theater zu machen. Trotzdem war das für mich nicht der Hauptgrund, die Gruppe 1990 zu verlassen, auch nicht, daß sie aus Geldgründen anfingen, für Pepsi und Mercedes zu arbeiten. Ich bekam einfach Schwierigkeiten mit den Leuten. Trotzdem haben La Fura auch in den 90ern noch interessante Stücke gemacht.“

Jetzt arbeitet Antúnez zusammen mit Pablo J Loyzaga, einem Computertechniker, der den Zuschauern bei den Auftritten eine Einführung gibt und sie an das Terminal lockt. Und daß in der Regel mehr Frauen als Männer den „virtuellen Sklaven“ fernsteuern wollen, könnte Gründe haben – immerhin kann frau endlich einen wehrlosen nackten Mann nach ihrer Pfeife tanzen lassen.

Zusammen mit „Epizoo“ zeigt Antúnez die Ausstellung „La vida sin amor no tiene sentido“ (Ein Leben ohne Liebe hat keinen Sinn), eine dreiteilige Objektsammlung aus Köpfen in formalingefüllten Gläsern. Sie bestehen aus zusammengenähten Schweinshäuten, den „Lustmaschinen“, und einer Sammlung von Skulptur gewordenen „Liebesgedichten“. Sie heißen „Das Warten“ (Schweineherz mit langen Haaren in Formalin), „Der Verlust“ (von Messer durchbohrtes Schweineherz) oder „Die Abhängigkeit“ (zwei mit Handschellen aneinandergefesselte Schweineherzen). Antúnez kombiniert dabei eindeutige, starke Symbole wie Herz und Messer mit ungewöhnlichen Materialien, eben tierischem Fleisch. Das hat Tradition bei ihm:

„1992 habe ich den Roboter JOAN gemacht, den Menschen aus Fleisch, eine Polyesterfigur, die mit Schweinshaut überzogen ist. Meine Eltern hatten eine Fleischerei, und weil spanische Kinder oft mitarbeiten müssen, war ich von klein auf mit Körperteilen von Schweinen vertraut, ich sah die Ähnlichkeiten zum menschlichen Körper.“

Und so ekelhaft es klingt (tote Schweine in Formalin!), so humorvoll ist die Ausführung. Genau wie bei „Epizoo“, wo Marcel.lis Grimassen, Geräusche und das wackelnde nackte Fleisch zum Lachen reizen, die Figurenpuzzle auf dem Bildschirm gar an Terry Gilliams Animationen erinnern, belustigen auch die Ausstellungsstücke durch ihre krude und einfache Symbolik. „Ich bin viel ironischer als in meiner Jugend, ich sehe mich in der Tradition humorvoller Künstler wie Goya oder Buñuel.“

Eine Woche lang gibt sich Antúnez wirklicher Körper dreimal pro Abend den Wünschen des Publikums preis. Hoffentlich massiert ihn jemand danach.

„Epizoo“: noch bis 2.11., 21, 22 und 23 Uhr; die Ausstellung ist jeden Tag ab 16 Uhr geöffnet. Schwarzenberg e.V., Rosenthaler Straße 39, Mitte