■ Vorschlag: Im Schoß der HipHop-Kolchose: Freundeskreis teachen das SO 36
„Es war daher so um 79 unser neues Ziel, die Notwendigkeiten von Inhalten wieder zu unserer Forderung zu machen, auch wenn die Forderung erst richtig an Kraft gewann, als die Linken von der Bildfläche verschwanden“, schrieb Diedrich Diedrichsen in seiner vorläufigen, von 1972 bis 1985 gültigen Autobiografie. Ob an der Stelle in der remixten Auflage wohl „97“ steht? Der Erfolg der Stuttgarter HipHop-Crew Freundeskreis zumindest deutet eine Repolitisierung von Jugendkultur an. Jenseits von der Chose mit „Anna“ (Songtitel) arbeiten die Rapper aus dem Schoß der Stuttgarter HipHop-Kolchose nämlich schwer an der Rekonstruktion von Awareness und Solidarität. „Long-haired Hippies and Afroblacks – all together and make deep tracks“ lautet die Empfehlung von Maximilian an alle da draußen, deren Herzen für Mumia-Abu Jamal, Tracy Chapman und Nelson Mandela schlagen. Daß die Arbeit dieser Band, um die sich unter anderen Bedingungen wahrscheinlich eher mal der Verfassungsschutz als Medial Control gekümmert hätte, auf einem Label stattfindet, das vom fantastischen Thomas „Die da?!“ D. gegründet wurde, gehört wohl zu den obskuren Dialektiken von Counter Culture im Zeitalter des allgegenwärtigen Sponsorings. Doch Max und Kollegen versuchen, die ihnen qua heavy Rotation zugeteilten 15 Minutes of Fame freundlich unter denen zu verteilen, die mit auf der Kolchose abhängen und in Sachen HipHop aktiv sind: Den Breakdancern der „Southside Rockers“, den DJ's Emil und Thomilla und dem Rapper Afrob beispielsweise.
Und den Massiven Tönen natürlich, die man locker vor Tobi, Bo, Fettbrot und Fischmob sowieso einordnen kann. Wenn auch weniger real shit repräsentiert wird, als es derzeit die „kleine Schwester“ der Spektacoolären so mit dem Messer in Tasche tut, sind da nicht nur einige erfreulich holperfreie Tracks zu hören. Es findet auch eine erstaunliche nüchterne Verortung der eigenen Sozialisation zwischen CDU-Wählern und Jugendhaus statt, die dann von Möchtegern-Kriminalität und vorläufigem Nixblicken (im Hessischen auch Nicht-Checken genannt) berichtet. Daß sowas schnell als „sozialdemokratischen Realismus“ und „gefährlich nah an AOK und DFB“ gedisst wird, wie es im Frühjahr das Zentralorgan für Popkultur angesichts einer Single der Oldschoolerin Cora E. anscheinend nötig hatte, kommt natürlich vor – aber die neue Notwendigkeit von Inhalten läßt sich eben auch nur bedingt vermitteln. Gunnar Lützow
Kolchose Tour 97 feat. Freundeskreis, Massive Töne, Afrob, South Side Rockers, DJ's Emil, Thomilla. Heute abend ab 20 Uhr im SO 36.
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