■ Standbild: Prickelnd wie Fußpilz
„Ärzte. Dr. Vogts Neuanfang“, Mi., 20.15 Uhr, ARD
Während die „Schwarzwaldklinik“ des ZDF in die Karibik umgezogen ist, um dort als „Klinik unter Palmen“ Eingeborene mit Schulmedizin und gesundem eurozentristischen Menschenverstand zu missionieren, hat der medizinische Notstand die Gynäkologen- und Sportarztpraxen der ARD heimgesucht. Die neue Staffel der ARD-„Ärzte“-Reihe – 1994 als vorbildhafte Rollenspiele mit Rotationsprinzip von den Programmchefs erdacht – verpflastert die Fernsehnation leidlich mit der alten deutschen TV-Rezeptur des Problemfilms.
Realistisch muß der Trübsinn sein in Schwesternraum und Doktorenherz. Die diarrhöische Depression im kalt weißen Kittel, in Agonie bebende Arztlippen, Fetzen voreiliger Kündigungsschreiben im gleichgültigen Wind. Das Medizinerleben ist umzingelt von kalt blitzenden Apparaturen; von Zumutungen in Form salmonellenheimgesuchter Pensionäre und süffisanter Chefärzte, die ihren hippokratischen Eid längst gegen nekrophile Forscherleidenschaften eingetauscht haben.
Statt lebensmittelsauberer Fummeleien im Medikamentenraum, statt Oberärzten, die gratis zum Zäpfchen einen Beipackzettel zu alltäglichen Seelenkarzinomen zitieren, bestraft uns die ARD in der ersten der neuaufgelegten „Ärzte“-Folge mit vermeintlichem Leben. Von dort, wo es am fadesten ist. Nebenwirkungen der Seehofer-Reformen, unspektakuläre Kontenbewegungen alleinstehender Märtyrer des gerupften Gesundheitssystems, therapeutische Mißhandlungen armer Halbtoter. Schlimm, schlimm, schlimm, das alles. Und so prickelnd wie abklingender Fußpilz.
Im Ernst, was soll man mit diesem Dr. Vogt (Sven-Eric Bechtholf) anfangen, dieser blassen Kleinsparerseele, die, sobald ihr elend wird, mit waidwundem Blick aufs Krankenhausdach rennt? Die Frau hat ihn verlassen, für eine Eigentumswohnung reicht es auch nicht. Der krebskranke Regionalliga-Trainer will sich lieber wundkotzen, statt auf eine ansonsten folgenlose Chemotherapie zu verzichten, und die letzte Schilddrüsenpatientin hätte der verhuschte Vogt fast ins Grab gespritzt. Kein Zweifel, dieser knäckebrotgesichtige Weißkittel, der uns mit seiner pädagogischen Betulichkeit und seiner Langeweile unbarmherzig an den Nerven zerrt, braucht Erste Hilfe, eine Frau, ein Drama. Oder wenigstens ein Adrenalin- Zäpfchen. Birgit Glombitza
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