Waigel sperrt Haushalt

■ Zum zweiten Mal in diesem Jahr. Opposition: "Politik der verbrannten Erde"

Bonn (taz) – Eigentlich wollte Finanzminister Theo Waigel (CSU) gestern auf dem Deutschen Baugewerbetag in Bonn laut Redemanuskript sagen: „Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte kommt voran.“ Doch er tat es letztlich nicht. Schließlich hatte er noch am gleichen Tag eine Haushaltssperre verhängen müssen – schon die zweite in diesem Jahr.

Außerdem hatte Theo Waigel beim Baugewerbetag sagen wollen, daß die Nettoneuverschuldung „wohl“ nicht über drei Prozent des Bruttoinlandprodukts liegen darf und die Währungsunion somit nicht gefährdet sei. Doch auch das sagte er nicht. Ein Sprecher Waigels betonte auf Nachfrage, dies habe nichts zu bedeuten.

Die Fakten sprechen für sich. Da hatte der Finanzminister schon einen Nachtragshaushalt in Höhe von 17 Milliarden Mark aufgestellt und kam selbst mit einer Haushaltssperre nicht aus. Auch die zweite Haushaltssperre wird nicht reichen, wie eine Pressemitteilung des Finanzministeriums verrät. Ziel sei es, die Nettokreditaufnahme „möglichst“ einzuhalten.

Für ein paar Wochen in diesem Jahr war Theo Waigel aus der Schußlinie geraten. Der peinliche Versuch, die Goldreserven neu zu bewerten und die so gewonnenen Milliarden auszuschütten, ist abgebügelt. Der Ablösungsantrag im Juni ist überstanden. Über das Bekenntnis seiner Amtsmüdigkeit im Sommer ist Gras gewachsen. Doch die Folgen seiner Amtsführung werden ihn „wohl“ bis zuletzt immer wieder einholen.

Sein „Koalitions-Freund“, der FDP-Fraktionsvorsitzende Hermann Otto Solms, hatte schon vor Monaten gewarnt: 20 Milliarden Fehlbetrag 1997, 30 Milliarden im nächsten Jahr und 40 Milliarden im Jahr 1999. CDU-Haushaltsexperte Adolf Roth sagte dazu: Die Staatsfinanzen seien „noch viel fundamentaler in Unordnung“ als an diesen Zahlen ablesbar. Ohne grundlegende Reformen gehe es „immer weiter in die falsche Richtung“.

Finanzminister Theo Waigel, so der Vorwurf der Opposition, hangle sich mit buchhalterischen Tricks und der Verlagerung von Haushaltslasten in die Zukunft von einem Haushaltsloch zum nächsten. So etwa bei der Gegenfinanzierung für die Senkung des Solizuschlags. Die Tilgung für den Erblastentilgungsfonds wird in Höhe von 5,1 Milliarden Mark für 1998 ausgesetzt. Das bedeutet für kommende Haushalte, daß die Zinsbelastung höher ist, als sie sein müßte.

Der Tilgunstrick hat bei Theo Waigel Methode. So soll in den kommenden drei Jahren auch die Tilgung der Altschulden der Bahn ausgesetzt werden. Für 1998 spart Waigel dadurch 2,8 Milliarden Mark. Zudem will Waigel Telekom-Aktien im Wert von 15 Milliarden Mark an die staatseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau verkaufen. Das Geld sollte eigentlich ab dem Jahr 2000 dafür vorgesehen sein, die ausufernden Pensionszahlungen mitzufinanzieren. Umstritten ist auch, daß Autobahnprojekte in zweistelliger Milliardenhöhe privat vorfinanziert werden. Die Rückzahlungspflicht des Bundes setzt erst ab dem Jahr 2000 ein.

Ans Eingemachte gehen die Privatisierungen in Höhe von über 10 Milliarden Mark und Grundstücksverkäufe in Höhe von 1,3 Milliarden Mark. Der haushaltspolitische Sprecher der SPD, Karl Diller, nennt die Waigelsche Haushaltspolitik eine „Strategie der verbrannten Erde“.

Auch im kommenden Jahr werden die Querelen um den Haushalt wohl ein treuer Begleiter sein. Waigels Prognose, die Zahl der Arbeitslosen werde um 100.000 sinken, wurde durch das Herbstgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute erschüttert. Waigel ging von drei Prozent Wirtschaftswachstum für 1998 aus. Die Wirtschaftswaisen prognostizieren 2,8. Eine Besserung am Arbeitsmarkt erwarten sie nicht. maf