Das Recht auf Schrott

■ Eltern wollen immer, daß Kinderfernsehen Fortsetzung von Schule ist. Doch auch Kinder wollen schon ihr Trash-TV

Junk-TV ist Kult – aber natürlich nur, wenn Erwachsene Rosamunde Pilcher oder ihren Freitagswestern gucken. Wenn allerdings Kinder ihre Liebe zu den Turtels gestehen, dann kennt die Panik besorgter Eltern und Erzieher keine Grenzen. Kein anderes Thema schweißt die Erwachsenenwelt seit Jahrzehnten so zusammen wie die Medien und ihr vermeintlich schlimmer Einfluß auf die lieben Kleinen.

Was die Zahlen angeht, scheint die Sorge nicht ganz unbegründet: Seit 1992 hat sich das Programmangebot für Kinder versechsfacht. Die Soziologin Christine Feil vom Deutschen Jugendinstitut hat gar 500 Stunden Kinderfernsehen von Montag bis Freitag ermittelt. Dazu kommen dann noch das Vorabendprogramm und die Sendeoffensive am Wochenende.

Verantwortlich für diesen drastischen Ausbau sind vor allem die neuen Kindersender wie die privaten Nickelodeon und Super RTL und der öffentlich-rechtliche Kinderkanal. Aber auch Pro 7, Sat.1 und RTL setzen voll aufs Kind.

Daß sich die kommerziellen Fernsehanstalten derzeit so um die Nachwuchszuschauer balgen und ihnen mitunter täglich von 6 bis 20 Uhr „Flipper“, „Käpt'n Nemo“, die „Dinos“ oder „Vampy & Co.“ anbieten, liegt unter anderem an der Entdeckung des Skippies. Dieses Fabelwesen aus der Werbewelt setzt sich zusammen aus „school kids with income and purchasing power“, was zu deutsch soviel heißt wie „Kinder mit Einkommen und Kaufkraft“. Und die liegt laut „Kids Verbraucher Analyse 1996“ bei 16 Milliarden Mark. Der Kaufeinfluß von Kindern in Deutschland insgesamt wird sogar auf rund 35 Milliarden geschätzt.

Angesichts dieses Tempos des Kommerzkinderkarussells verwundert es, daß das öffentlich- rechtliche ZDF derzeit einfach aussteigt – in der Woche, so plant man in Mainz, soll Kinder-TV ganz aus dem Programm fliegen, nur noch am Wochendende werden die Kleinen bedient. Gründe für diese Pläne, die am 12. Dezember der Fernsehrat trotz massiver Proteste wohl absegnet, hat das ZDF indes genug: Im August 1997 lag das ZDF mit einem Marktanteil von 2,9 Prozent in der Zielgrpuppe der 3- bis 13jährigen nur an zehnter Stelle. Der werbefreie Kinderkanal von ARD/ZDF hingegen kam auf 9,4 Prozent und lag damit sogar 1,5 Prozentpunkte vor dem privaten Konkurrenten Nickelodeon. Am beliebtesten war Pro 7 mit 16 Prozent.

Der eigentliche Grund für die ZDF-Pläne ist aber, daß das Quotentief auch die nachfolgende ZDF-Erwachsenenschiene trifft. Da hatte die ARD es leichter: Sie verschob die Kindersendungen einfach in ihre Dritten.

Die Anstalten kontern den Vorwurf, die Grundversorgung der jüngsten Zuschauer zu vernachlässigen, einfach damit, sie würden diese im Gesamtprogramm nach wie vor leisten, da es ja den Kinderkanal gebe. Doch den können bislang nicht einmal alle Kabelhaushalte empfangen (derzeit 55 Prozent von ihnen) – und auch Antennengucker zahlen Gebühren.

Die höchsten Einschaltquoten des Kinderfernsehens hat zwar immer noch seine Grande Dame, die „Sendung mit der Maus“ sonntags in der ARD. Doch die Maus wird auch sehr viel von begeisterten Erwachsenen geguckt, die ihren Nachwuchs zum Mitgucken anhalten – oder gar allein gucken.

Fragt man Kinder direkt nach ihren Favoriten, so bekennen sich Jungs hemmungslos zu den „Power Rangers“ und Mädchen seit neuestem zu „Sailormoon“, der feministischen Variante dieser Karate-Kids. Schrott vom Feinsten. Das brutale Lasergebeame und die grotesken Wutausbrüche der Protagonistinnen von „Sailormoon“ mag manche Mütter vielleicht entsetzen, aber so wie sie sich „Verbotene Liebe“ zur Entspannung reinziehen, so verlangen auch Kinder nach ihrem Trash-TV. Christine Feil: „Eltern wollen immer, daß das Kinderfernsehen die Fortsetzung von Schule ist, aber Kinder wollen auch mal abspannen.“ Und dafür eignet sich die Mischung aus Discokitsch und und den kickboxenden Barbiepuppen, die als Sailorkriegerinnen „Im Namen des Monds“ für Liebe und Gerechtigkeit kämpfen, prächtig. Der Medienwirkungsforscher Detlef Ruffert glaubt zudem, daß Kinder Sendungen wie „Sailormoon“ nicht unbedingt ernst nehmen.

Das sogenannte Montagssyndrom scheint dem zu widersprechen: Zu Wochenanfang, berichten Lehrer, sind Kinder oft von den TV-Erlebnissen des Wochenendes noch so in Anspruch genommen, daß sie sich kaum konzentrieren können. Doch das liegt weniger an „Sailormoon“ und Co. – zudem vermögen auch Wochenenderlebnisse die Kids ebenso zu fesseln, die nicht auf dem Bildschirm stattfinden. Kaum sind sie eingeschult, sehen die großen Kleinen ganz anders fern. Im ersten Halbjahr 1997 betrug die Sehdauer bei den Drei- bis Fünfjährigen durchschnittlich 78 Minuten pro Tag, die Sechs- bis Neunjährigen hingegen glotzten täglich 92 Minuten (die Sehdauer der 14- bis 49jährigen liegt übrigens bei 186 Minuten, und die über 50jährigen, die am meisten über den TV-Konsum der Kinder meckern, kommen auf 239 Minuten). Schulkinder begnügen sich auch nicht mehr mit klassischen Kindersendungen. Je älter sie werden, desto mehr wollen sie mit den Erwachsenen das Abendprogramm gucken. Daß Gewaltdarstellungen in fiktiven Filmen das aggressive Verhalten bei Kindern fördern können, darüber sind sich die meisten Medienwirkungsforscher einig. Aber Detlef Ruffert schränkt ein: „Individuelle Faktoren wie soziales Umfeld, Medienerfahrung, Familie, Normen, Werte und Befindlichkeiten oder Alter und auch das Geschlecht spielen eine wichtige Rolle.“ Anstatt kategorisch das Fernsehen zu verbieten, rät Ruffert dazu, den Kindern ihre medialen Räume zu lassen, damit sie Medienkompetenzen entwickeln können. „Anstatt zu fragen: Was machen die Medien mit unseren Kindern?, sollten wir endlich fragen: Was machen unsere Kinder mit den Medien?“

Für besorgte Eltern gibt es seit neuestem darum auch den Flimmo, den unter anderem die Jugendschützer der Medienanstalten entwickelt haben. Diese Broschüre will Erziehenden vierteljährlich Orientierung im Kinderkarussell bieten, indem sie alle Sendungen in drei Kategorien von „harmlos“ bis „schwer verdaulich“ unterteilt. Ein Glück, daß es so ein Aufklärungsheftchen nicht auch für erwachsene Fernsehzuschauer gibt. Ania Mauruschat

Kostenloser Bezug „Flimmo“ über (089) 63808-288, http://www . flimmo.de; Kontakt zu Medienpädagogen für Institutionen: Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz, (0228) 299421