"Ich schütt' euch die Zeit wieder vor die Füße"

■ Für das Weimarer Denkmalprojekt "Zermahlene Geschichte" will der Kasseler Künstler Horst Hoheisel mit dem Architekten Andreas Knitz gemeinsam zwei Gestapo-Baracken zerschreddern und als Erin

Wer in diesen Tagen ins thüringische Weimar fährt, der findet eine Provinzstadt voller Baustellen und Umleitungen vor. Man rüstet sich allerorten für 1999, wenn Weimar ein Jahr lang die Feierlichkeiten als Europäische Kulturhauptstadt zelebrieren wird. Dafür geht in letzter Zeit allerdings auch manches zu Bruch. Zuletzt fiel im August die Weimarhalle der Abrißbirne zum Opfer. 1932 hatten sich die Weimarer Bürger mit dem neoklassizistischen Bauwerk ein ewiges Denkmal setzen wollen; in der Lichtkuppel war bis zuletzt ein ornamentiertes Hakenkreuz zu entdecken.

Jetzt sollen zwei Gebäude aus dem Innenhof des Weimarer Marstalls verschwinden. Eine große Bürobaracke, in der sich ab 1938 die örtliche Gestapo-Leitstelle um „die innere Sicherheit Thüringens“ kümmerte, und die ehemalige Wagenremise, die von Buchenwald- Häftlingen zum „Hausgefängnis“ ausgebaut worden war. Nachdem sich die Gestapo im Mai 1945 zurückgezogen hatte, verhörten und folterten die Genossen vom sowjetischen Geheimdienst in denselben Räumen. Bald darauf landete ein Teil der Häftlinge im sowjetischen Speziallager Nr. 2 Buchenwald. 1984 erinnerte die DDR mit einer Gedenktafel am Haupttor des Marstalls an die Opfer des Nationalsozialismus. Die Gebäude im Innenhof blieben der Öffentlichkeit verborgen. Nun verschwinden sie ganz. Die amtliche Begründung: das Thüringische Staatsarchiv, seit 1951 in den Räumen des Marstalls, wird umgebaut und soll ein neues Kellermagazin bekommen. Der Marstall-Innenhof indes soll „Ort der Erinnerung“ bleiben, „entgegen einer einseitigen Mythisierung Weimars zum unbeschädigten Ursprungsort ewig geltender humanistischer Werte und Leistungen des deutschen Geistes“. So stand es im Ausschreibungstext vom November 1996 für einen künstlerischen Wettbewerb im Auftrag des Freistaates Thüringen. Dabei gedachte man auch des Umstands, daß die Reithalle des Marstalls ab Mai 1942 „Sammellager“ für die thüringischen Juden auf dem Weg in die Vernichtungslager war.

Gewonnen haben den Wettbewerb der Kasseler Künstler Horst Hoheisel und der Architekt Andreas Knitz: „Zermahlene Geschichte“ nennen sie ihr Projekt, für das die Gebäude zerschreddert und im Innenhof des Marstalls ausgeschüttet werden sollen.

taz: Herr Hoheisel, die Abrißgenehmigung der Thüringer Behörden ist erteilt, Ihre Kunstaktion kann beginnen. Wie kamen Sie auf die Idee?

Horst Hoheisel: Zuerst wollten wir uns gar nicht an dem Wettbewerb beteiligen, als Protest gegen den Abriß, den die Ausschreibung ja bereits vorsah. Dann haben wir uns das Plakat für die Auslobung des Projekts genauer angesehen. „Vergangenheit hat Zukunft“ stand da drauf. Das war für uns der Schlüssel zu der Arbeit: Welche Vergangenheit soll Zukunft haben, hatten wir uns gefragt. Und welche Zukunft? Das Plakat zeigte nostalgische Bilder von der Jahrhundertwende.

Der Abriß ließ sich aufgrund des Beschlusses der Weimarer Behörden also nicht mehr verhindern?

Nein, aber wir sagten uns, dann setzen wir eins drauf und zermahlen die Gebäude so, daß man wirklich weiß, die werden abgerissen – anders als auf dem Gelände des KZ Buchenwald, wo die Baracken in den fünfziger Jahren klammheimlich abgerissen wurden. Und die Holzschnitzel der Verwaltungsbaracke und den Kies aus den Mauern des Gefängnisses, die bringen wir der Stadt Weimar in vielen, vielen kleinen Steinen dann doch wieder in den Hof, als Erinnerungsschicht.

Wie reagierten die thüringischen Behörden?

Das Stadtbauamt und das Archiv waren kooperativ. Schwierigkeiten gab es eher auf der höheren Ebene. Dort spürte man eine Scheu, den Abriß öffentlich zu machen.

Für ein anderes Kunstwerk wollten Sie auch schon einmal das Brandenburger Tor zu Staub zermahlen. Das Steinmehl sollte auf dem Platz ausgestreut werden, der für das Zentrale Mahnmal für die Ermordung der europäischen Juden in Berlin vorgesehen war.

Und darüber dann die typischen Berliner Bürgersteigplatten aus Granit. Im Ergebnis zwei leere Orte, der Platz vor dem Brandenburger Tor und der Denkmalsplatz: Wir hätten die Leere aushalten lernen müssen. Und: Was würde passieren, wenn die Deutschen das Symbol deutscher Identität zermahlen? Wir sind mit diesem Gedankenexperiment damals gleich aus dem Wettbewerb geflogen.

Und dann haben Sie es bei der Ausschreibung für den Weimarer Marstall erneut probiert.

In Weimar sahen wir eine Verwaltung, ein politisches Bedürfnis, die Zeit des Nationalsozialismus unsichtbar zu machen. Und ich sag', das könnt ihr doch nicht tun. Ich schütt' euch die Zeit wieder vor die Füße.

Was werden Sie während der Abrißarbeiten machen?

Am 23. Oktober haben wir bereits Container vor dem Marstall- Tor aufgestellt. Normale Baucontainer, allerdings verfremdet. Die sehen aus wie die Archivschachteln, graue Kartons mit dem Registrierstempel vom Thüringischen Hauptstadtarchiv. Nach der öffentlichen Zerschredderung wird in diesen Containern das historische Steinmaterial zwischengelagert. Und an den Containern informieren wir in einem Steckkasten über den laufenden Prozeß der Abriß- und Rekonstruktionsarbeiten.

Steine, aufgeladen mit historischer Halbwertzeit. Das klingt ein bißchen nach Magie.

Nein, ich denke nicht wie Beuys, ich bin ein Schamane und mach' jetzt da ein Ritual.

Können Steine reden?

Steine können nicht reden. Trotzdem, fällt mir jetzt erst auf, ich hab' hier die ganze Zeit einen in der Hand und bewege ihn. Dieses Gefühl des Steines, den in der Hand umzudrehen und zu bewegen, das bringt vielleicht auch den Kopf vorwärts.

Haben Sie Angst, daß solche recht ungeschützten Installationen Ziel von Anschlägen werden könnten?

Nein. Und wenn es negative Äußerungen gibt, dann kommt ja damit die Geschichte wieder ins Bewußtsein. Und daß überhaupt diese Geschichte im Bewußtsein bleibt, das ist das Wichtige. Andreas Knitz und ich werden das Gespräch mit Weimarer Bürgern suchen. Auch die Bauarbeiter sollen zu Akteuren des Denkmalprojekts werden. Diese Gespräche drumrum, die sind uns ganz wichtig, und zwar von dem Bauarbeiter, der da mitarbeitet, bis hin zum Ministerialdirigenten, der das von oben genehmigt.

Wie erfahren künftige Besucher nach den Rekonstruktionsarbeiten vom ehemaligen Standort der Baracken?

Auf dem Innenhof werden Glasschlitze installiert, in der Grundrißform der abgerissenen Baracken. In das Glas wird ein knapper Text zur Geschichte der Gebäude eingraviert. Durch das Glas sieht man in das Kellergeschoß des Thüringischen Hauptstaatsarchivs, dort, wo die amtliche Korrespondenz Goethes nur wenige Meter entfernt liegt von den Karteien zum Konzentrationslager Buchenwald.

Dient das Archiv als Verweis auf die Infrastrukturen der Erinnerung?

Ja. Beschäftigt euch mit den Dokumenten des Archivs! Das ist die eigentliche Erinnerung, die aktive Auseinandersetzung mit den Dokumenten. Und nicht das Denkmal, das an Gebäude erinnert. Interview: Axel Doßmann

Die Schredder-Aktion im Rahmen von „Zermahlene Geschichte“ beginnt am 5. November um 10 Uhr im Marstall-Innenhof Weimar