Ein Urteil, viele Fragezeichen

■ Berliner Landgericht verurteilt Lebensgefährten von Katrin Reemtsma wegen Totschlags zu 12 Jahren Haft. Tatmotiv bleibt unklar

Berlin (taz) – Die Staatsanwältin hielt ihr Plädoyer, und Asmet S. bat die Dolmetscherin, nicht weiter zu übersetzen. Die Verteidigerin suchte erklärende Worte für die Tat ihres Mandanten, und Asmet S. ließ seine Blicke gelangweilt durch den Raum schweifen. Der Richter fragte den Angeklagten, ob er sich noch einmal äußern wolle, Asmet S. schüttelte den Kopf – und wartete auf das Urteil. Das wurde zwei Stunden später verlesen. Asmet S., der am 9. Juni seine Lebensgefährtin Katrin Reemtsma mit einem 32 Zentimeter langen Messer erstochen hat, wurde gestern vom Berliner Landgericht wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Damit entsprach das Gericht dem Antrag der Staatsanwaltschaft.

Das Urteil ist gesprochen, die Gründe für die Tat aber blieben auch am letzten Verhandlungstag im dunkeln. Asmet S. wollte sich nicht mehr zum Tathergang und auch nicht mehr zu seiner Beziehung zu der bekannten Roma-Forscherin Katrin Reemtsma äußern. Hatte er noch am ersten Verhandlungstag von Untreue seiner Lebensgefährtin gesprochen und von einer Stimme, die ihn zum Töten veranlaßt habe, war er noch Anfang der Woche aufbrausend und aggressiv aufgetreten, so saß der 38jährige gestern geduckt auf der Anklagebank – und schwieg beharrlich. So blieb es dem gerichtsmedizinischen Sachverständigen, der Staatsanwältin und der Verteidigerin überlassen, Motive zu finden, die Asmet S. veranlaßt haben könnten, die Nichte des Hamburger Kulturmäzens Jan Philipp Reemtsma umzubringen.

Schwachsinn oder Anzeichen eines wahnhaften Zustands wollte der Sachverständige Asmet S. nicht bescheinigen. Auch nicht eine akute psychische Störung. Auch nicht chronischen Alkoholgenuß, wenngleich Alkohol in der Familie von Asmet S. zum Alltag gehört habe, vor allem im Haus seiner Großmutter, bei der er aufgewachsen ist.

Asmet S. stammt aus Serbien aus einfachen Verhältnissen. Anfang der 90er Jahre kam er mit seiner Familie nach Berlin und arbeitete zunächst als Übersetzer der Roma-Union. Hier lernte er Katrin Reemtsma kennen, mit der er zwei Kinder hat. Die beiden zogen zusammen und führten, so Verteidigerin Nicole Zarske, „sieben Jahre ein fast anonymes Leben“. Nachbarn, aber auch Freunde und Angehörige von Katrin Reemtsma wußten so gut wie nichts über das Privatleben der beiden.

Dieser Umstand macht es so schwierig, Motive für die Tat von Asmet S. zu finden, und führt unweigerlich in tiefenpsychologische Spekulationen. Etwa: Konnte es der impulsive Asmet S., dem ein Intelligenzquotient von 86 bescheinigt wird, nicht ertragen, von Katrin Reemtsma, einer gebildeten Frau und erfolgreichen Ethnologin, zur Rechenschaft gezogen zu werden? Beispielsweise wenn sie ihm vorhielt, er fahre schon wieder ins Ausland, er kümmere sich nicht genügend um die Kinder, er solle sich eine neue Arbeit suchen und den Taxiführerschein machen. Fühlte sich Asmet S. in seinem männlichen Stolz gekränkt? War sein Selbstbild angegriffen worden? Gerade in den letzten Tagen vor dem Tattag war es zu Auseinandersetzungen zwischen Katrin Reemtsma und Asmet S. gekommen. Er hatte ihr Tagebuch gefunden und will herausgelesen haben, daß sie etwas mit anderen Männern habe. Solche Hinweise allerdings konnte der Sachverständige im Tagebuch von Katrin Reemtsma nicht finden. Dennoch: Katrin Reemtsma soll verletzt reagiert und ihren Partner mit der Tatsache konfrontiert haben, so wie bisher könne das Leben nicht weitergehen. Hat Asmet S. in seiner Wut Katrin Reemtsma getötet? Alles Spekulation. Anzeichen allerdings, daß es schon früher in der Beziehung zu Auseinandersetzungen gekommen ist, konnten nicht gefunden werden. Katrin Reemtsma und Asmet S., so hieß es gestern noch einmal, hätten ein harmonisches Leben geführt. Jens Rübsam