■ Nachschlag
: Soz-art, gagapubertär: Sorokins „Pelmeni“ in den Sophiensælen

Das Theater als Rumpelkammer: „Pelmeni“ Foto: Th. Aurin

Eine Kochecke, zwei zu Kulissen aufklappbare Kisten, eine Strickleiter – als Bühnenbild zu Vladimir Sorokins „Pelmeni“ hat sich Donald Becker ganz schön was zusammengepusselt. Über allem flattern auch noch Fähnchen mit kyrillischen Buchstaben und künden von „den Siegern“. Dabei kokettiert, wer die verkommene Pracht dieses Sophiensaales so zur Rumpelkammer macht, wohl eher mit dem Verlieren. Soz-art steht auf dem Spielplan, eine Kreuzung von Sozialistischem Realismus mit Pop-art, was bei Sorokin auf eine Pervertierung traditioneller Erzählformen zu fäkaliengetränkten Grotesken hinausläuft. Situationen fangen ganz normal an und münden in einem gagapubertären Wahnsinn, in dem sich Frauen als „Genossin Komma Holzkopf“ bezeichnen, Männer auf den Schreibtisch kacken oder Väter als Pelmeni-Füllung serviert werden. Den ritualisierten Leerlauf menschlicher und gesellschaftlicher Beziehungen macht Sorokin damit ebenso deutlich wie die Unfähigkeit zum wirklichen Exzeß: noch die Entgleistheit wird in vorgegebenen Muster kanalisiert. Letzte Ausfahrt: Regression.

Dirk Steinmann, der Regisseur von Theater R. A. T., lud zu „einer Reise in die jüngere russische Geschichte“ ein, auf der er den „kollektiven Körper“ der Gesellschaft „zum Tanzen“ bringen wollte. Tatsächlich aber bereitete bei der Premiere am Freitag schon die schiere Textvermittlung größte Probleme. Es wird zu schnell gesprochen und zu leise. Das ist um so fataler, als von einem gestalterischen Zugriff auf das Ganze nicht die Rede sein kann, sondern die Darsteller bloß daran herumfummeln, wo sie bei welchem Satz stehen und wie sie dabei gucken. Um der vermeintlichen Pointe des Augenblicks willen wird die Struktur noch jeder Szene preisgegeben, etwa wenn sich Peter Lewan als Nachtwächter Ivanov von Anfang an so kindisch gebärdet, daß der spätere Fäkalwahn nicht als Riß im Alltag, sondern bloß als Steigerung erscheint. Schnaufender Sketchrealismus – gewissermaßen eine ästhetische Regression. Petra Kohse

Bis 9. 11., 25. bis 29. 12., 20 Uhr, Sophiensæle, Sophienstraße 18