Zeigen, kaufen etc.
: Quadratisch, praktisch, blau

■ In den Berliner Messehallen findet zum zweiten Mal das „art forum berlin“ statt

Sie waren überall dieses Jahr. Auf der Biennale in Venedig verteilten rollschuhfahrende Modelle Flyer für das „art forum berlin“, in Kassel standen sie zur documenta mit einem Werbewürfel vor dem Fridericianum, und bei den Skulpturenprojekten in Münster wäre der in Silber gekleidete Messetrupp problemlos als Performance durchgegangen. Zumindest das Logo hat sich bei soviel Hartnäckigkeit in Sachen Selbstinstitutionalisierung eingeprägt: Quadratisch, praktisch, blau – irgendwie erinnert das Warenzeichen der erst vor einem Jahr gegründeten Kunstmesse an die Einkaufstüten vom KaDeWe.

Die Marketingstrategen können zufrieden sein: 135 Galerien nehmen am zweiten „art forum berlin“ teil, über die Hälfte kommen aus dem Ausland. Man wollte den Ostblock integrieren und bekam Galerien aus Moskau, Prag und Polen. Nur die Umsätze sind nach vier Messetagen eher bescheiden. Offenbar ist es schwierig, Berlin auch lukrativ als Kunsthauptstadt zu etablieren. Zwar geistert noch immer der Mythos von der neuen boomenden Mitte durch die Medien, doch an den Ständen am Funkturm merkt man davon zu wenig. „Ich habe mir gestern Potsdam angeschaut“, sagt der New Yorker Galerist von Rubenstein & Holm, „dort hat man den Eindruck, daß sich etwas Neues entwickelt. Aber im Ostteil von Berlin ist der Reiz verflogen, die Euphorie ist vorbei.“ Jetzt muß er die Zeit bis Dienstag abend zwischen seinen Baselitz-Bildern absitzen. Vielleicht liegen großformatige Ölgemälde momentan auch nicht im Trend: Nebenan hat ein gewitzter Kunsthändler schon zur Eröffnung übermalte Urlaubsfotos und Zeichnungen von Gerhard Richter verkauft.

Überhaupt scheint sich die Messe vor allem an den Namen der Großveranstaltungen des Sommers zu orientieren. Nachdem Catherine David bei der documenta Urbanismus und Fotografie zum Schwerpunkt erklärt hatte, hängen nun in fast jeder Koje ordentlich gemachte Dokumentaraufnahmen, die den Verfall der Metropolen bebildern – Ruinen am Stadtrand, dekoratives Hochhauselend und anderer endzeitlicher Edelkitsch aus den neunziger Jahren. Besonders deprimierend sind die am Computer montierten Propagandabilder von Thomas Ruff, der alte Plakate im Stil der chinesischen Kulturrevolution remixt oder Helmut Kohl über dem Turm von Babel rotieren läßt – Politkunst als Burn-out-Syndrom.

Dazwischen plötzlich das Foto von einem Riesen, den seine besorgten Eltern mit ängstlicher Miene betrachten: Wird der Junge womöglich durch die Decke wachsen? Diane Arbus hat die Aufnahme des „Jewish Giant“ 1970 gemacht, und sie sagt mehr über menschliche Regungen aus als der ganze Rest an Fotografen, der nur kokett auf das Scheitern sozialer Zusammenhänge blickt und dann die Phänomene mit der Kamera abhakt. Ansonsten findet man viel Trash aus dem Popbereich – staubsaugende Transvestiten, Latexmoden und immer wieder Bondage- Fotos von Nobuyoshi Araki. Die dazugehörigen Junggaleristen sehen mit ihren blondierten Haaren, Rundbrillen und grauen Maßanzügen wie Jacques Villeneuve aus oder eben wie Michael Schuhmacher. Zwischendurch wundert man sich über das dreiste Hippie-Revival im Kuschelzelt von Kai Althoff und Cosima von Bonin am Stand der Kölner Galerie Christian Nagel; oder man schaut zu, wie in einer Nische der Lisson Gallery bei Douglas Gordons Video „Hand and Foot“ die Körperteile miteinander spielen.

Draußen demonstrieren derweil die Betreiber des Tacheles gegen die drohende Schließung. Darüber sind auch die Senatoren sehr traurig: Bei einer Talkrunde zum Thema „Kultur als Faktor für globales Standortmarketing“ im Hamburger Bahnhof hätten am liebsten alle Beteiligten das besetzte Haus gleich mitbesetzt, wo doch selbst Air France mit dem Tacheles für Berlin-Reisen wirbt. Aber das sei „eine komplizierte Geschichte“, so Volker Hassemer von der CDU. Er muß es wissen, schließlich ist er im Vorstand der Gesellschaft für Hauptstadtmarketing GmbH. Harald Fricke