: Luxusspielwiese für die Kleinen aus Bonn
Neun Millionen Mark kostet der Betriebskindergarten des Bundestages in Berlin. Trotz Rechnungshofkritik: Er wird gebaut ■ Von Vera Gaserow
Berlin (taz) – Ein sympathischer Bau, kindgerecht, lichtdurchflutet, mit viel Freifläche zum Spielen. Wenn die Regierung 1999 nach Berlin umzieht, dann sollen es auch die Kleinen gut haben, im eigens gebauten Kindergarten des Bundestages dicht neben dem Reichstag. Und so vermochte der Entwurf des Wiener Architekten Peichel die Baukommission des Bundestages so recht zu überzeugen. Auch die veranschlagten Baukosten hielten sich im vorgegebenen Rahmen – neun Millionen Mark, die Mitglieder der Baukommission hoben zustimmend die Hände. Das war am 8. Oktober.
Was die Abgeordneten erst zwei Tage später erfuhren: Bereits seit drei Monaten liegt ein Prüfbericht der Bundesrechnungshofes bei Bundestagspräsidentin Süssmuth, der das Projekt in Grund und Boden rammt. In einer geharnischten Stellungnahme raten die Rechnungsprüfer vom Bau einer neuen Bundestagskita ab. Zu teuer, zweifelhafte Rechtsgrundlage, vor allem aber: kein Bedarf. „Vor jedem weiteren Schritt – insbesondere vor einer konkreten Veranschlagung der Bauausgaben für einen Neubau“, so mahnte der Rechnungshof bereits Mitte Juli, „wären zunächst die fehlenden Grundlagen festzustellen und zu beurteilen.“
Genau das aber ist nicht passiert. Die Abgeordneten der zuständigen Kommissionen erfuhren von dem Bericht erst, nachdem sie dem Projekt zugestimmt hatten. „Ich fühle mich hintergangen“, protestierte jetzt die Bauexpertin der Grünen, die Abgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig, in einem wütenden Brief an die Bundestagspräsidentin. Eichstädt- Bohlig, bislang Befürworterin der Bundestagskita, zog ihre gerade erteilte Zustimmung zum Neun- Millionen-Projekt zurück. Angesichts des 18 Milliarden Mark teuren Umzugs vom Rhein an die Spree, urteilte die Grüne, mögen die Kosten für diesen Betriebskindergarten wie Peanuts erscheinen. An anderen Stellen hätten vor allem die Männer noch viel unverfrorener zugelangt, dennoch sei das Projekt ein Paradebeispiel für die Selbstbedienungsmentalität, die sich bei den Umzüglern breitgemacht habe.
Der Kindergartenbau sorgt seit gut einem Jahr für Streit. Während in Berlin in den Kitas rund um das Regierungsviertel gähnende Leere herrscht, verteidigt Bonn ein gut 20 Jahre altes Privileg: So wie derzeit am Rhein sollen die Kinder der Bundestagsmitarbeiter auch an der Spree eine Kita ganz für sich allein haben. 150 Plätze hat die Einrichtung derzeit in Bonn, in Berlin sollen es 26 Plätze mehr werden. Genutzt werden sie vor allem von weiblichen Bundestagsbeschäftigen des einfachen und mittleren Dienstes.
Vergeblich hatten Berliner Bezirke immer wieder erklärt, sie hätten ausreichend freie Kapazitäten, die kleinen Zuzügler aus Bonn aufzunehmen. Doch keine der angebotenen Einrichtungen war den Bonnern genehm. Der Neubau ward beschlossen, ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben und Anfang Oktober der favorisierte Entwurf gekürt.
Da schmorte der alarmierende Rechnungshofbericht längst auf Rita Süssmuths Schreibtisch: Eine bundestagseigene Kindertagesstätte, so konstatieren darin die Prüfer, sei, egal ob in Bonn oder Berlin, weder aus „personalwirtschaftlichen Gesichtspunkten noch aus fürsorgerischen Aspekten“ zu rechtfertigen. Das Hauptargument der Kita-Befürworter, angesichts der langen Abendsitzungen benötigten die Beschäftigten eine Kinderbetreuung mit speziellen Öffnungszeiten, konnten die Rechnungsprüfer durch eine simple Nachfrage entkräften: Der Bundestagskindergarten in Bonn hat seit eh und je stinknormale Öffnungszeiten und schließt spätestens um 17 Uhr seine Pforten.
Auch bei den Kosten haben die Berfürworter der Kita offenbar kräftig geschummelt. Der entsprechende Haushaltstitel 1998 sieht 261.000 Mark vor. „Die tatsächlichen Kosten“, mahnen die erbosten Rechnungsprüfer „Haushaltswahrheit“ ein, liegen „um ein vielfaches höher“. Schlappe 1,9 Millionen betrugen sie schon 1995.
Gegen eine Bundestagskita in Berlin erhebt der Rechnungshofbericht weitere Bedenken. Die Versorgung mit Kindergärten sei in Berlin „eher besser als in Bonn“. Die Bundestagsverwaltung habe bei der Entscheidung für den Neubau überhaupt nicht geprüft, „inwieweit der für notwendig erachtete Bedarf dezentral in mehreren vorhandenen arbeitsnahen und ggfs. auch in wohnortnahen Einrichtungen gedeckt werden kann“.
Von Eichstädt- Bohlig mit diesem Bericht konfrontiert, reagierte Rita Süssmuth mit trotzig: Den Vorwurf, die Abgeordneten seien bei ihrer Entscheidung hintergangen worden, könne sie „nicht nachvollziehen“. Bei dem Rechnungshofbericht handele es sich nur um „vorläufige Sachverhaltsangaben und Bewertungen“, die erst nach einer Stellungnahme der zuständigen Dienststelle öffentlich gemacht würden.
Die zuständige Dienststelle, Süssmuths Bundestagsverwaltung, hat diese Stellungnahme inzwischen verfaßt – vier Tage nach der Kritik von seiten der Bündnisgrünen. Tenor der fünfseitigen Rechtfertigung: Und wir brauchen ihn doch, den eigenen Kindergarten. Der Bundestag habe dessen Fortbestand in Berlin schon 1994 zugesichert und – beschlossen ist beschlossen – die Entscheidung Anfang dieses Jahres erneut bestätigt.
Inzwischen ist die SPD aufgewacht und übt Kritik – an den Grünen. „Frauenfeindlichkeit“, wirft der SPD-Mann in der Baukommission, Peter Conradi, der Abgeordneten Eichstädt-Bohlig vor. Alle Fraktionen seien für den Neubau des „Werkskindergartens“, nur die Grünen wollten jetzt „auf Kosten der Frauen und Kinder“ sparen. Weil alle anderen Parteien so frauenfreundlich sind, darf gebaut werden, neun Millionen Mark, für nix, kinderleicht.
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