Abschied von der Kirchturmpolitik

■ Der ehemalige Bremer Umweltsenator Ralf Fücks plädiert für mehr regionale Kooperation im Norden. Rot-Grün bietet dafür die Chance

Rot-Grün in Hamburg, das ist noch kein Signal für Bremen, aber auch kein bloß lokales Ereignis. In Schleswig-Holstein sind die Grünen schon im Boot, und in Niedersachsen klopfen sie im nächsten Frühjahr an die Tür. Die Hegemonie der SPD über die Großstädte zerfällt, die CDU stagniert, der Norden wird rot-grün. Nur Bremen fällt mal wieder aus der Reihe – dort gehen die Uhren mittlerweile nicht mehr vor, sondern nach. Doch was nicht ist, kann ja noch werden. Denn in dieser rot-grünen Konstellation steckt die Chance, ein paar alte Zöpfe abzuschneiden und Reformen auf den Weg zu bringen, die bisher an Länderegoismus und Kirchturmpolitik scheiterten.

Die Zeit des „Jeder für sich und alle gegen alle“ist unwiderruflich vorbei – das haben nur noch nicht alle gemerkt. Elder statesman Klaus von Dohnani, der dieser Tage in einem elegischen Artikel für die Woche die verpaßten Chancen vergangener SPD-Herrlichkeit und den vergeblichen Abwehrkampf gegen die Grünen betrauerte, beschwor als die drei großen Herausforderungen von heute: die europäische Integration, die neue Dimension weltwirtschaftlicher Verflechtung und den Aufbau Ost (ohne Gänsefüßchen). Die Welt ist im Wandel, und Hamburg muß sich behaupten. Kein Blick nach links, kein Blick nach rechts, das stolze Hamburg geht allein. Welch ein Anachronismus!

Das Verhältnis zwischen den beiden norddeutschen Stadtstaaten und den beiden Flächenländern muß auf eine neue Basis gestellt werden. Ich spreche nicht von einem künstlichen Gebilde namens „Nordstaat“, sondern von umfassender Zusammenarbeit über die Landesgrenzen hinaus. Das fängt bei der regionalen Raumplanung an und hört bei einem intra-regionalen Finanzausgleich zwischen den Stadtstaaten und ihren Speckgürteln noch lange nicht auf.

Die Bildung von Regionalverbänden mit eigenen Planungskompetenzen und Budgets für Flächenpolitik, Verkehr, Einzelhandel, Wohnungsbau und Tourismus ist überfällig. Die Gewerbeflächen- und Ansiedlungspolitik muß über die Ländergrenzen hinweg abgestimmt werden, um den Flächenfraß aufzuhalten und den bornierten Dumpingwettlauf um Investoren zu beenden. Der stadtzerstörende Irrsinn immer neuer und immer größerer „Einkaufsparks“rund um die Großstädte kann nur in einer konzertierten Aktion gestoppt werden.

Die norddeutschen Länder sollten sich zudem zusammentun, dem reformunfähigen Monopolbetrieb Bundesbahn den öffentlichen Regionalverkehr aus der Hand nehmen und eine integrierte Verkehrsplanung auf die Beine stellen. Eine länderübergreifende Hochschulplanung und eine koordinierte Forschungspolitik sind überfällig. Soweit dafür Staatsverträge notwendig sind, müssen sie vorbereitet und beschlossen werden.

Das gilt erst recht für die Heilige Kuh des Hanseatentums, die Hafenwirtschaft, deren ökonomische Gesamtbilanz immer zweifelhafter wird. Wenn es schon auf Sicht nicht möglich scheint, einen vernünftigen Wettbewerbsrahmen für die gesamte „Nordrange“von Antwerpen und Rotterdam bis Bremerhaven und Hamburg zu entwickeln, haben zumindest die norddeutschen Länder die Chance und die Pflicht, eine kooperative Hafenpolitik an Elbe und Weser zu betreiben.

Wenn es schon in dieser Phase den Grünen in Hamburg und Bremen nicht gelang, die Vertiefung von Außenweser und Elbe zu verhindern – dann müssen jetzt zumindest die Grundlagen gelegt werden, um diese Aufrüstungsspirale in Zukunft verlassen zu können. Was, außer den Standort-Egoismen der alten Hafenstädte, spricht dagegen, die Umschlagsanlagen für die neue Generation von Jumbo-Containerschiffen zukünftig am seeschifftiefen Wasser statt tief im Binnenland zu konzentrieren?

In dem neuen Umfeld von europäischem Binnenmarkt, West-Ost-Integration und ökonomischer Globalisierung werden zukünftig nicht einzelne Städte, sondern große Stadt-Regionen als Akteure auftreten, die eine Vielzahl von Angeboten und Potentialen bündeln. Gleichzeitig kann die intra-regionale Vernetzung ein Gegengewicht zur Abhängigkeit von den internationalen Kapitalbewegungen bilden und den autonomen Handlungsspielraum vergrößern. Das ist gerade für ökologische Politik eine Zusatzmotivation.

Offensive Regionalkooperation braucht politische Promotion. Die SPD war dazu in den letzten Jahren nicht fähig. Die Grünen wären gut beraten, sich dieses Projekt zueigen zu machen und ganz oben auf der rot-grünen Agenda zu plazieren. Zuallererst käme es darauf an, die eigene Fixierung auf den jeweiligen Sprengel zu überwinden und eine norddeutsche grüne Allianz zu bilden, die zu gemeinsamen Initiativen fähig ist.