Der Charme der Spieldose

■ Die britische Komponistin Rebecca Saunders war Gast des Bremer Podiums

Es gibt nicht wenige Menschen, die die Vorstellung dessen, was Musik sei, noch immer mit dem Begriff „Melodie“verbinden. Und infolgedessen alles ablehnen, was ohne Melodie ist. Darin liegt eine der Schwierigkeiten in der Rezep-tion von Neuer Musik. Für die britische Komponistin Rebecca Saunders ist Musik alles, nur nicht Melodie: „Ich erlaube mir das nicht“, sagte sie streng beim Bremer Podium und verwies das Bedürfnis danach – auch das ihre – in einen gleichsam archaischen Erinnerungsbereich.

In mehreren Stücken ihrer Werke erklingen Spieldosen, die sie gesammelt hat. Und sie geht auch gern in Spielzeuggeschäfte, „weil es da allerhand zum Klingen gibt“. Sie ist nicht einzuordnen, die 30jährige Schülerin von Wolfgang Rihm, die sich im Workshop extrem spröde, um nicht zu sagen verweigernd präsentierte.

Die Komponistin, die von Kindheit an immer nur Musik gemacht hat und ausgebildete Geigerin ist, liebt den Einzelton, den sie unabhängig vom Einzeltongroßmeister Giacinto Scelsi entdeckt hat. Sie genießt es, „eine Stunde lang einen Ton zu spielen. Ich mag auch sehr gerne einen Ton schreiben“. An einem Beispiel aus der Chaconne in d-Moll von Johann Sebastian Bach führte sie vor, was dieses Konzept ihrer Meinung nach mit Bach zu tun hat. Aber hinter der Phantasie und der Differenzierung eines Scelsi steht sie einstweilen noch zurück.

Saunders Musik lebt von Kontrasten und Überraschungen in ungewöhnlichen Besetzungen, versetzt mit viel Stille. „... es sind nicht Entwicklungen, die entfaltet werden, sondern „Seinszustände“, die in harten Schnitten aneinandergefügt sind ... die Aufmerksamkeit fesseln allein durch ihr Dasein ...“: Diese Beschreibung von Gertrude Stein zitierte Saunders als Kommentar zu ihrer Musik. Wie gut er trifft, war am Abend im interpretatorisch exzellenten Konzert der MusikFabrik unter der Leitung von Diego Masson zu hören.

Da ist zum Beispiel „Behind the Velvet Curtain“für Trompete, Harfe, Klavier und Cello, das sich unendlich zart in Klangräume vortastet. Oder „the under-side of green“in der traditionellen Besetzung Klarinette, Violine und Klavier: Grelle Zustände wechselten mit unhörbar leisen, und am Ende trieb die Britin ihr Material in eine – unerwartete – Stretta.

Dieses Stück wie auch „Crimson-Molly's Song 1“und „Molly's Song 3 – shades of crimson“sind inspiriert vom Schlußmonolog der Molly Bloom aus Joyce' „Ulysses“, dem Saunders eine „ununterbrochen wütende Intensität“bescheinigte.

Entschieden ohne jegliche Teleologie montiert sie „Seinszustände“. Das wirkte manchmal beliebig und einschläfernd, in anderen Momenten wiederum entfaltete es eine eigenständige Kraft – da, wo es ihr gelang, harmonische und instrumentale Spannungen zum Zerreißen zu erzeugen.

Ute Schalz-Laurenze