Der Tod spielt am Theremin

Techno-Exhibitionismus: Auf der fünften Multimedia im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) wurden drei Medienopern uraufgeführt  ■ Von Gabriele Hoffmann

Spätestens seit John Cage stehen Oper und Musiktheater an vorderster Front, wenn es um Experimente zwischen den verschiedenen Künsten geht. Und so durfte man bei den vom ZKM in Karlsruhe an drei Komponisten vergebenen Auftragswerken zur Multimediale 5 auch keine Revolution mehr erwarten. Während es den Instituten für Musik und Bildmedien (in deren Studios die Multimedia-Opern entstanden) um die Erkundung „ästhetischer Potentiale“ ging, hätte man besser aus früheren Veranstaltungen in Karlsruhe Konsequenzen ziehen sollen: keine exhibitionistische Technikdarbietung mehr.

Doch gerade darin liegt das Problem bei Kiyoshi Furukawas sechsteiligem Operneinakter „Den ungeborenen Göttern“ für Mezzosopran, Thereminvox, vier Instrumentalisten (Viola, Gitarre, Klarinette, Keyboards) und interaktive Computersysteme. Die Sängerin, die allein auf der Bühne agiert, singt Texte aus dem Demeter- Hymnus des Homer, aus Rilkes „Sonette an Orpheus“ und Grimms „Dornröschen“, die sie abwechselnd ins Totenreich und in die Welt der Lebenden versetzt – mit Zwischenstationen als Embryo im Mutterleib oder als Jonas im Walfischbauch.

Hinter der Bühne läßt Robert Darroll bunte virtuelle Welten über die Leinwand wirbeln, klassizistisch anmutende Arkadenhöfe, in denen Figurenpuzzles zu Schlemmerschen Figurinen mutieren. Die Instrumentalisten sind mit ihrem Spiel die „Animateure“ sowohl der Bilder als auch der virtuellen Instrumente. Mit Tonhöhen und Lautstärken erwecken sie die Dinge zum Leben oder lassen sie tot umfallen.

Wenn es schon nicht ganz leicht ist, den Metamorphosen der Sängerin von Demeter zu Dornröschen zu folgen, die labyrinthischen Wege auf der Leinwand tragen jedenfalls nichts zur Klärung bei. Ein klassisches Beispiel dafür, daß sich mit interaktiver Technologie die Barrieren bei der Wahrnehmung ebensogut auf- wie abbauen lassen. Dagegen nutzt Furukawa sehr intelligent die Möglichkeiten der unterschiedlichen Klänge, nicht zuletzt durch den Einsatz des Thereminvox (Lydia Kavina), einer elektronisch generierten zweiten Gesangsstimme. Hervorragend musizieren Julia Henning als Sängerin und die Instrumentalisten unter dem Dirigenten Zsolt Nagy.

Angenehm auf das Geschehen konzentriert erscheint dagegen Mesias Maiguashcas Komposition „Die Feinde“ mit Computeranimationen von Tamás Waliczky. Die zwölfteilige Szenenfolge, die Henry Akina inszeniert hat, handelt von der Erschießung des tschechischen Schriftstellers Jaromir Hladik in Prag durch die Deutschen 1939. Als Textvorlage dient die Erzählung „Das geheime Wunder“ von Jorge Luis Borges. Maiguashca läßt Hladiks Verhaftung, Verhör und Todesurteil von einer gespaltenen Person erleben, die von zwei Sängern dargestellt wird.

Hinter der realen Begebenheit steht für Maiguashca die Frage nach der Wirklichkeit der Zeit, die der zum Tode Verurteilte in Traum- und Wachzuständen als zwei in ihrer Struktur konträre Wirklichkeiten erlebt. Hladik bittet Gott, ihm die Zeit zu gewähren, sein letztes Buch zu vollenden. Gott erhört ihn, indem er den Moment zwischen Feuerbefehl und Todesschuß zur Länge eines Jahres dehnt.

Die karge Bühnenausstattung und das genaue Zusammenspiel der zwei Sänger kommen einer Musik zugute, die mit minimalistischen Streicherklängen und schrillen Mischungen aus Live-Elektronik und Tonband die Kluft zwischen den feindlichen Wirklichkeiten auszuloten versucht. Quasi abgekoppelt vom Bühnengeschehen läßt Waliczky auf der Leinwand seine Computeranimationen erscheinen: schwarzweiße Fließstrukturen, die in endlosen Verschlingungen immer die gleiche menschliche Figur in einfachsten Körperhaltungen produzieren.

Zuletzt wurde in Karlsruhe die Geschichte von Rashomon wiederbelebt. Das Stück geht auf ein Nô-Drama des 14. Jahrhunderts zurück und wurde 1921 von Ryunosuke Akutagawa in der Kurzgeschichte „Im Dickicht“ aufgegriffen – bei uns bekannt durch Akira Kurosawas Film „Rashomon“ von 1952. Das Londoner VOCEM electric voice theatre fügt über den von Craig Raine bearbeiteten Text sehr beziehungsreich Musik und Darstellung in einem dar. Ein Samurai und seine Frau, die auf einer Landstraße unterwegs sind, treffen auf einen Räuber, der das Paar in den Wald lockt, den Mann fesselt und die Frau vergewaltigt. Ein Holzfäller entdeckt den getöteten Samurai. Daraufhin erzählen die fünf Personen jeweils eine Version des Mordes, die sie selbst belastet. Der Komponist Alejandro Viñao, der sich lange mit östlichen Musiktraditionen beschäftigt hat, entwickelt in der für Sänger und Computer gesetzten Szenenmusik eine akustische Dramaturgie, bei der sich menschliche Stimme und elektronisch erzeugte Töne ständig ineinander verwandeln.

Multimedia-Opern sind offensichtlich noch in der Phase, wo die Versuchungen, sich unter dem Vorwand des Spiels mit Effekten aus der Affäre zu ziehen, noch nicht überwunden sind. Wer das Karlsruher Eröffnungsfestival des ZKM im Hallenbau verfolgt, könnte auf den Gedanken kommen, daß hier ein Ort entsteht, an dem der Trend zu immer größerer Spezialisierung sich in sein Gegenteil verkehrt – und zwar mit Künstlern, die selbst Spezialisten sind. Doch wahr ist auch, daß zwei Wochen nach Eröffnung des Medienmuseums ein Teil der als „interaktiv“ eingestuften Installationen seinen Geist bereits aufgegeben hat.

Multimediale 5, noch bis 9. November, im ZKM, Karlsruhe