Deutschlands liebster Icke

Nur Thomas Häßler mag nach dem Uefa-Cup-Erfolg gegen Metz nicht zugeben, daß er den KSC-Laden allein schmeißt  ■ Von Frank Ketterer

Karlsruhe (taz) – Der Erste auf dem Platz ging als Letzter. Ganz tief eingemummelt in die blaue Flauschdecke, bestritt Thomas Häßler die dritte Halbzeit, die die versammelte Fernsehreporterschar nur für ihn angepfiffen hatte. Während die Sportskameraden drinnen in der Kabine schon unter die warme Dusche hüpften, mußte „Icke“ immer noch der aufziehenden Novemberkälte trotzen. Immer und immer wieder zerrte ihn einer ins gleißende Scheinwerferlicht einer Kamera, um sich erzählen zu lassen, wie er, Häßler, den FC Metz ganz allein aus dem Uefa- Cup geschossen hatte mit zwei Freistoßtoren im Hin- und einem im Rückspiel.

Es klang fast flehend, als der Mann unter der blauen Decke nach fast einer halben Stunde um Verständnis bat dafür, daß ihm bitterkalt geworden sei und er den Interviewmarathon gerne beenden würde, wenigstens fürs erste. Denkste! Licht an, Mikrofon an, Kamera an, „Icke, erzähl mal...“

Und weil Icke ein lieber Kerl ist, hat er trotz aller Kälte also erneut erzählt vom zuvor beendeten 1:1 gegen die Franzosen aus dem lothringischen Metz, das seinen Karlsruher SC ins Achtelfinale des Uefa-Cups gebracht hat. Wie er sich den Ball zurechtgelegt hatte, ihn per Freistoß ins Torwarteck zirkeln wollte, der dann doch nicht ganz vorbei kam an der Mauer, sondern abgefälscht wurde von dieser – und schließlich im Netz landete, in der anderen Torecke zwar, aber doch drin zum 1:1 (37.).

„Das war Glück“, kommentierte Häßler seinen Treffer, weil er nicht nur ein netter Kerl ist, sondern auch bescheiden. Und große Auftritte nur auf dem Rasenrechteck mag, wo er Dinge anzustellen weiß, die seinen Nebenmännern, auch denen vom eigenen Klub, nicht einmal im Traum einfielen.

Wie ein Ideengeber inmitten Ideenloser muß sich Häßler dort manchmal vorkommen, was er natürlich nie zugeben würde. „Ich hoffe, daß die Mannschaft nun weiß, was sie zu leisten in der Lage ist“, sagt der liebe Icke lieber. Daß das gegen Metz, ihn ausgenommen, einmal mehr nicht sonderlich viel war, läßt er großzügig unter den Tisch fallen. Zumal andere von seinen Heldentaten sprechen, am Dienstag abend war es Joel Muller, der Trainer der französischen Gäste. „Leider“, stellte dieser traurig fest, „hat es Thomas Häßler wieder einmal geschafft, uns zurückzuwerfen.“

Das analysiert nicht nur die vorangegangene Partie messerscharf, sondern beschreibt ziemlich trefflich die derzeitige Situation beim Karlsruher SC. Mehr denn je hängt fußballerisches Wohl und Weh im Badischen von der Formkurve Häßlers ab. Die zeigt nach langer Verletzungs- und Regenerationspause nach oben, auch wenn das in der letzten Saison zweimal gebrochene linke Bein nach Anstrengungen auf dem Rasen immer noch zwickt.

Was Häßler nicht davon abhält, neuerdings auch als unumstrittener Torschützenkönig der Karlsruher zu fungieren, weil es in der ziemlich neuformierten Mannschaft sonst keinen gibt, der regelmäßig trifft. Bereits siebenmal hat Icke das in der laufenden Bundesligasaison getan. „Die Tore“, sagt er, „bauen mich auf.“

Und sorgten dafür, daß das Wehklagen über die bisher wenig rosig verlaufene Runde noch nicht allzu heftig wurde im Badischen. Vier Neue (Règis, Nyarko, Schepens und Gilewicz) mußte Trainer Winfried Schäfer einbauen ins Team, weil altgediente Stammkräfte abwanderten, zwei davon wieder einmal nach München. Ziehen hat er sie lassen, die Herren Tarnat und Fink, auch wenn es ihm weh tat. Um Thomas Häßler aber hat der „wilde Winnie“ gekämpft, „mit Händen und Füßen“, wie er selbst sagt, auch wenn es darüber zu einem ziemlich deftigen Streit mit dem Präsidenten und Geschäftsführer kam.

„Über Icke etwas zu sagen“, teilte Schäfer am Dienstag abend mit, „hieße Spätzle nach Stuttgart tragen.“ Er tat es aber natürlich doch: „Man kann jeden Spieler ersetzen“, sagte er, um zu demonstrieren, wie richtig er damals gehandelt hat, „nur Thomas Häßler nicht.“ Und: „Icke ist für uns in Deutschland der wertvollste Spieler.“ In Karlsruhe glaubt das sowieso jeder.

Karlsruher SC: Reitmaier – Wittwer – Metz (90. Nyarko), Règis – Keller (87. Gilewicz), Ritter, Häßler, Hengen, Schepens, Wück – Dundee (61. Schroth)

FC Metz: Letizi – Kastendeuch – Pierre, Song – Boffin, Blanchard, Meyrieu, Gaillot, Toyes (66. Saha) – Pires, Lukic

Schiedsrichter: Cesari (Italien)

Zuschauer: 13.500

Tore: 0:1 Boffin (10.), 1:1 Häßler (36.)