Analyse
: Euro ohne Chef

■ Paris schiebt eigenen Kandidaten für die Europäische Zentralbank vor

Frankreich sucht Streit. Am Vorabend des deutsch-französischen Arbeitstreffens in Paris zwischen Bundeskanzler Kohl und Premierminister Lionel Jospin gab die französische Regierung offiziell bekannt, was in der Gerüchteküche schon lange brodelt: Paris will einen Franzosen an der Spitze der künftigen Europäischen Zentralbank.

Die Forderung ist für die Bundesregierung besonders unangenehm, weil Bonn sich bereits auf den Niederländer Wim Duisenberg festgelegt hat. Der Präsident des Europäischen Währungsinstituts gilt als Garant für eine Währungspolitik nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank. Jedes Abrücken von Duisenberg würde zum einen die deutsche Urangst schüren, der Euro werde weniger hart als die D-Mark. Zum anderen droht schwerer Frost für die deutsch-holländischen Beziehungen. Aufgrund persönlicher Animositäten hat Kohl in den letzten Jahren zweimal einen Niederländer als Chef der Nato und der EU-Kommission verhindert.

Doch gegen das Veto aus Paris ist nichts zu machen. Duisenberg, aus französischer Sicht ein Vasall der verhaßten Bundesbank, hat im Grunde kaum noch Chancen. Der Präsident der Europäischen Zentralbank muß im nächsten Mai von den EU-Regierungschefs einstimmig gewählt werden. Daran wird aber auch der französische Kandidat Jean-Claude Trichet, derzeit Chef der Pariser Notenbank, sicher scheitern.

In den EU-Hauptstädten wird deshalb gerätselt, was Frankreich wirklich will. Trichet ist weder beim konservativen Präsidenten Chirac noch beim sozialistischen Premier Jospin beliebt. Er ist vermutlich nicht viel mehr als eine Verhandlungsposition, die aufgebaut wird, um sie gegen Wertvolleres einzutauschen. Bisher hat sich bei den Verhandlungen um den Euro Bonn mit seinen Vorstellungen fast vollständig durchgesetzt. Doch Frankreich drängt nach wie vor darauf, den künftigen Zentralbankrat durch eine Art Wirtschaftsregierung auszubalancieren. Bonn will den Einfluß eines solchen Gremiums, in dem zwangsläufig die Finanzminister vertreten sein werden, möglichst unverbindlich gestalten. Frankreich dagegen sieht darin die notwendige demokratische Kontrolle und möchte ihm deshalb auch reale Macht geben.

Weitere Spannungen gibt es um die Teilnahme Italiens an der Währungsunion und die Zinspolitik. Paris möchte Rom unbedingt dabei- und die Zinsen trotzdem niedrig haben, um die Wirtschaft anzukurbeln. Bonn aber wertet Italien als Risiko für die Stabilität der Währung und will das mit entsprechend höheren Zinsen auffangen. Das wird zwar nicht offen gesagt, hinter den Kulissen aber längst so diskutiert.

Mit der französischen Kandidatur hat Frankreich Ansprüche angemeldet, die sich in erster Linie an Deutschland richten. Da Bonn der von der Währungsunion ohnehin schon verunsicherten Wählerschaft kaum einen französischen EZB- Präsidenten zumuten will, muß Kohl irgendwo anders nachgeben. Das hat auch Einfluß auf die Suche nach einem Kompromißkandidaten: Je germanischer, desto teurer wird es für Bonn bei den anderen Streitpunkten. Alois Berger