Flüchtlinge überlisten Festung Europa

■ Über tausend Kurden sind per Schiff in Italien gelandet und beantragen Asyl – in Deutschland. Nach dem Schengen-Abkommen müßten sie sofort abgeschoben werden, das aber läßt das italienische Aufenthaltsrecht nicht zu

Rom (taz) – Großalarm an den unteritalienischen Küsten: Mehr als tausend Kurden, teils aus dem Nordirak, teils aus der Türkei, sind in den vergangenen vier Tagen von italienischen Behörden beim Versuch der heimlichen Einreise aufgegriffen worden. Und nach Informationen der italienischen Geheimdienste stehen mehr als 5.000 weitere Fluchtbereite an den Küsten Griechenlands und auch des italiennahen Albanien in Wartestellung. Bereits am 20.Oktober hatte das Innenministerium in Rom ein vertrauliches Rundschreiben an alle Präfekturen der Küstengebiete Italiens übermittelt und zu „erhöhter Wachsamkeit“ aufgefordert.

Nach Maßgabe der Regierung sollen die Neuankömmlinge – die zusammen mit mehreren hundert Thailändern, Pakistanern und Indern eingetroffen sind – samt und sonders ausgewiesen werden. Das allerdings ist zumindest im Falle der Kurden ein Problem. Denn das italienische Aufenthaltsgesetz und die Schengener Bestimmungen zur Außensicherung der Grenzen der Mitgliedsstaaten sind offenbar nicht kompatibel.

Seit vergangenem Samstag ist Italien Vollmitglied des Schengener Abkommens, „und das haben die Menschenschlepper im Irak und in der Türkei offenbar mitbekommen – und mißverstanden“, so Außenamts-Staatssekretär Fassino. Zu Hunderten haben die Kurden nämlich gleich bei ihrer Landung politisches Asyl verlangt – in Deutschland. „Die waren offenbar der Meinung, in Apulien und Lampedusa gäbe es seit dem Beitritt zu Schengen Außendienststellen der deutschen Asylbehörden“, meint der Kommandant des Küstenwache von Leuca. Die Menschenschlepper, die pro Einschleusung an die 7.000 Mark verlangen, haben das ihren „Kunden“ jedenfalls so erzählt.

Seither herrscht Ratlosigkeit. Das deutsche Außenministerium verweist auf die Maßgabe des Schengener Abkommens, wonach illegale Einwanderer unverzüglich in jenes EU-Land verbracht werden müssen, in dem sie zuerst angekommen waren; in diesem Fall wohl nach Griechenland. Andererseits sieht das italienische Aufenthaltsgesetz eine Abschiebehaft nur gegenüber Kriminellen vor, alle anderen erhalten Ausweisungspapiere mit der Maßgabe, das Land innerhalb von 14 Tagen zu verlassen. Bis dahin können sie sich relativ frei im Land bewegen und auch ausreisen, wann und wohin sie wollen.

So sind die Kurden mittlerweile nahezu allesamt in Bussen oder per Bahn unterwegs in den Norden. Über Frankreich oder Österreich wollen sie Deutschland erreichen, unter Umgehung der Schweiz, die nach aller Erfahrung die Unerwünschten sofort wieder in ihr Heimatland abschiebt. Eine Ausweisung der Kurden aus dem EU-Gebiet glauben die italienischen Behörden derzeit aus rechtlichen Gründen nicht verfügen zu können. „Soweit wir wissen, haben Kurden erhebliche Aussichten, in Deutschland politisches Asyl zu erhalten, und wir können doch auf keinen Fall den Entscheidungen deutscher Behörden vorgreifen“, sagt ein Innenministeriumssprecher. Der erste große Härtetest für das Schengener Abkommen steht damit unmittelbar bevor. Werner Raith