Franjo Tudjmans neue Bosnienkarte

■ Kroatiens Präsident will neuartige Beziehungen zu Sarajevo. Serben sollen ihren Sonderstus in der kroatischen Verfassung verlieren

Wien (taz) – Gedankenspiele über neue Bosnienlandkarten sind auf dem Balkan nichts Neues. Und doch überrascht der jüngste Vorstoß des kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman vom Mittwoch für eine neue Nachkriegsordnung in Bosnien. Unter dem Titel „Vertrag zur Herstellung besonderer Beziehungen zwischen der kroatisch- muslimischen Föderation und der Republik Kroatien“ veröffentlichte die Tageszeitung Vjesnik neue Vorschläge „des großen Staatsvorsitzenden und Historikers Dr. Franjo Tudjman“ über eine „dauerhafte Neugestaltung des politschen Lebens“ zwischen Zagreb und Sarajevo.

Als Ziel dieser „Neugestaltung“ werden die Gründung einer Freihandelszone, einer Zoll- und Währungsunion sowie eines gemeinsamen Marktes angestrebt „unter Berücksichtigung kroatischer Sicherheitsinteressen“. Ausdrücklich betont wird an anderer Stelle, daß dieser Vertrag „nicht auf andere Entitäten ausgeweitet werden kann“, eine zusätzliche Verklausulierung, hinter der die Absicht steht, die zur Zeit serbisch okkupierte Hälfte Bosniens, die Republika Srpska, auszuklammern.

Was verfolgt Tudjman mit diesem Machwerk? Kroatische Oppositionelle und muslimische Politiker in Sarajevo sehen hinter den laut geäußerten Gedanken einen erneuten Versuch, Bosnien als staatliche Einheit langfristig zu zerschlagen und etwa die Hälfe der Drei-Völker-Republik einem künftigen Großkroatien zuzuschlagen. Denn für Tudjman steht fest, innerhalb der Zoll- und Währungsunion gilt nur die kroatische Kuna als Landeswährung, die zentralen Ministerien wie Wirtschafts-, Innen- und Außenministerium werden „in kooperativem Einvernehmen“ von Sarajevo nach Zagreb verlegt. Das Oberkommando über Armee und Staatssicherheitsdienst soll einem Gemeinsamen Rat übertragen werden, dessen Vorsitz dem Vordenker Tudjman persönlich anvertraut werden soll.

Der selbstherrliche Herrscher über ein kleines Volk von weniger als fünf Million Einwohnern versucht mit solchen Gedankenspielen seinen Landsleuten das Gefühl zu geben, die Kroaten seien wer im heutigen Europa der Nationalstaaten. Den Muslimen Bosniens wird vermittelt, sie seien auf Kroatien als Schutzmacht angewiesen, wenn sie als Nation bestehen und nicht in einer möglichen „Balkan-Konföderation unter serbischer und griechischer Vorherrschaft“ ihre nationale Identität verlieren wollen.

Das denkt zumindest Tudjman, der es als „katholischer Europäer“ ablehnte, die jüngste Einladung des griechischen Ministerpräsidenten Kostas Simitirs anzunehmen und zum Balkangipfel Anfang der Woche auch nur eine Regierungsdelegation auf die Mittelmeerinsel Kreta zu entsenden. „Es war ein Segen“, kommentierte das ideologische Kampfblatt Vjesnik die Absage Tudjmans, „daß wir Kroaten allen Balkannostalgikern zeigten, wir gehören nicht zu ihnen, wir sind ein Teil Europas.“ Das Blatt konnte es sich dabei nicht verkneifen, weit in die Geschichte zurückzugehen, als kroatische Könige im Mittelalter allen Gefahren „aus dem Süden“ mit eiserner Willensstärke standhielten. Unterschwellig suggerierte das Tudjman-Organ dem Leser, was einst die türkische Gefahr auf dem Balkan ausmachte, sei heute der „serbische Drang nach Norden“. Mit dieser Propaganda versucht das kroatische Regime nachträglich, auch die Vertreibung Hunderttausender Krajina-Serben zu rechtfertigen, die mit Ausbruch des Bruderkrieges ihre kroatische Heimat verließen und an deren Rückkehr nicht mehr denken ist. Einst lebten 600.000 Serben in Kroatien, heute wird ihre Zahl auf unter 80.000 geschätzt.

Tudjman sieht deshalb den Zeitpunkt gekommen, auch die Verfassung seines Landes zu ändern. Am Dienstag unterbreitete der Präsident dem Parlament in Zageb einen Vorschlag, nach dem jene „Artikel gestrichen werden, die „heute keinen Sinn mehr haben“. Neben einer Reihe kosmetischer Änderungen von Namen staatlicher Institution schlug Tudjman auch einen neuen Wortlaut des Absatzes vor, der sich mit dem Nationalstaat Kroatien befaßt. Er will den Zusatz, Kroatien sei auch ein Staat „der ethnischen Minderheit der Serben“, ersatzlos streichen. Dafür soll es fortan heißen: „Kroatien ist ein Nationalstaat des kroatischen Volkes und von Mitgliedern von Minderheiten.“ Künftig natürlich nicht mehr von Serben, sondern von Muslimen im heutigen Bosnien. Karl Gersuny