Tintenfische zu Lebensfragmenten

■ Tamar Rabans „Dinner Dress und Geschichten über Dora“auf Kampnagel

Beim Dessert schnürt Tamar Raban ihr Mieder auf. Sie greift ins eben noch prall gefüllte Decolleté und holt zwei rosafarbene Halbkugeln heraus. Süß schmecken die Marzipanbrüste – davon kann sich jeder Gast überzeugen, der ein körperwarmes Stück von ihr gereicht bekommt.

Genährt von der Mutterbrust persönlich: Tamar Rabans Performance „Dinner Dress und Geschichten über Dora“auf Kampnagel spricht alle Sinne an, ist Körperlichkeit pur, bewahrt aber auch stets wohltuende Distanz. Obwohl die 25 Gäste am runden Tisch der israelischen Multimediakünstlerin höchstpersönlich mit Namenskärtchen und messerscharfem Tusch vom Küchenmeister Zachi Bushester empfangen werden – der fürs köstliche 5-Gänge-Menü und rhythmische Küchengeräusche sorgt –, ist die konzentrierte Show doch weit von gruseligen Mitmachveranstaltungen entfernt.

Essen sollte man allerdings schon gerne. Und zwar möglichst schnell. Denn wer die von Oberkellner Buky Grinberg verkündete Eß-Zeit überschreitet – fürs delikat marinierte rohe Rindfleisch sind drei Minuten veranschlagt –, dem wird der Teller unsanft weggezogen. Ebensowenig dulden es die Kellner, wenn allzu Neugierige den Teller von der Tischplatte heben, um durch ein gläsernes Guckloch Einblicke in die Unterwelt zu bekommen. Dort nämlich schminkt und zieht sich Tamar Raban zunächst an, bevor sie zur zweiten Vorspeise (schwarze Bohnensuppe mit Tintenfischen) durch ein weißes, mit Schmetterlingen besetztes Kleid schlüpft. Wie eine Königin thront sie dann auf einem nur durch Monitore sichtbaren Barhocker inmitten der Gäste und erzählt auf Hebräisch und Deutsch über ihre Mutter Dora.

Unspektakulär sind diese Fragmente eines weiblichen Lebens, doch voller Würde und Stolz vorgetragen. Sie passen zur entspannten, sehr gastlichen Atmosphäre, bei der Oberkellner Grinberg manchem Besucher gar den Nacken massiert und improvisierte Nettigkeiten ins Ohr flüstert. Gar zu heimelig wird es aber doch nicht. Denn immerhin ist Tamar Raban eine Dame mit Unterleib, die sich bedächtig aus- und anzieht. So wird der Gast, obwohl die Show jeder Schlüpfrigkeit entbehrt, zum Voyeur wider Willen, der immer wieder durch den gläsernen Unterteller in die Tiefe starrt. Und mancher wird gar wie früher an Mutters Küchentisch zwar stumm, aber für jeden hörbar bestraft. Denn erst wenn die Gänsestopfleber (deren Konsistenz Geschmackssache ist) aufgegessen ist, darf tiefgesehen werden. Ansonsten knallt der Kellner den Teller lautstark auf die Glasplatte zurück. Wie peinlich.

Karin Liebe