Basketball gegen Zoff im Kiez

■ Anwohner beklagten bei einer Diskussionsrunde die zunehmende Gewaltbereitschaft von Jugendlichen in Kreuzberg 61. Der Umgangston im Kiez ist rauher geworden, findet auch die Polizei

Dem Mieter aus der Bergmannstraße 92 reicht's. Eine Bande türkischer Jugendlicher terrorisiert nun seit eineinhalb Jahren den Kiez. Sie versperren den Hauseingang, beschimpfen ihn als „schwule Sau“ oder „Faschist“. Unerträglich sei auch der Lärm, den ihre auf das Durchbeißen von Paletten gedrillten Pitbull-Terrier machten. Den höre man bis in den 5. Stock.

Der Mann ist kein Einzelfall. Für den Stadtteilausschuß Kreuzberg 61 Grund genug, am Donnerstag abend eine Diskussionsveranstaltung über „Zoff im Kiez – Zunehmende Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen?!“ anzusetzen. Eingeladen waren die bündnisgrüne Jugendstadträtin Hannelore May, Vertreter der Polizei, MitarbeiterInnen aus der Jugendarbeit und AnwohnerInnen. Als Überraschungsgast erschien auch Kreuzbergs bündnisgrüner Bürgermeister Franz Schulz. Dagegen blieben trotz Einladung Jugendliche und VertreterInnen der Immigranten dem Meinungsaustausch im Gemeindesaal der Passionskirche fern.

Schenkt man den Erfahrungsberichten der AnwohnerInnen Glauben, ist die Lage am Chamissoplatz zuweilen bedrohlich: Jugendliche vertreiben Kinder von Spielplätzen, sie belästigen Frauen und Mädchen sexuell und drohen ihnen mit Vergewaltigung, Anwohner werden angespuckt. Es kommt zu Überfällen und Brandstiftung durch gewalttätige Jugendbanden. Einzelne haben das Viertel sogar schon aus Resignation vor der aggressiven Atmosphäre verlassen.

Die Ursache für die Probleme der nichtdeutschen Jugendlichen, so Jugendstadträtin Hannelore May, sei deren schlechte Bildungssituation, hohe Arbeitslosigkeit und fehlende Freizeitmöglichkeiten. Sie beklagte auch, daß zu wenige männliche Bezugspersonen und Migranten in den Bildungseinrichtungen tätig seien. Sie rief zu einem „Abwehrkampf gegen Stellenkürzungen“ im Jugendbereich auf. Unterstützt wurde sie von einer Lehrerin der Rossegger- Grundschule, die den niedrigen Anteil deutscher Kinder beklagte. In ihrer Schule gebe es durchschnittlich nur zwei deutsche Kinder pro Klasse.

May möchte mit einem Ausbau der Sozialarbeit und einem Mediationstraining „Entwaffnende Worte“ auf das Gewaltpotential in Kreuzbergs Straßen reagieren. Das Deeskalationstraining ist schon an Schulen eingesetzt worden. Das Lernziel: Reden statt Zuschlagen.

Bürgermeister Schulz zeigte sich wie Stadträtin May überrascht von den Berichten der AnwohnerInnen, galt doch Kreuzberg 61 verglichen mit dem Stadtteil SO 36 bislang als ruhiges Pflaster. Er schlug einen „Runden Tisch Gewaltprävention“ vor, an dem Vertreter des Bezirksamtes, der Polizei, Sozialarbeiter, Eltern und Jugendliche beteiligt werden sollen. Außerdem könne an Kitas und Schulen eine Antigewaltwoche durchgeführt werden. Dem vorausgehen müsse aber eine kritische Bestandsaufnahme über die Lage in Kreuzberg 61.

Dies war das Stichwort für Hainer Noak vom Kommissariat für Gruppengewalttaten der Polizei Kreuzberg/Neukölln: Es habe keine auffällige Steigerung der Strafanzeigen im Kiez gegeben. Der Umgangston sei jedoch merklich rauher geworden. In zunehmendem Maße seien auch Waffen im Spiel. Unklar sei die Dunkelziffer an Straftaten.

Modellcharakter könnte das bereits im Neuköllner Rollbergkiez erprobte Projekt „Kiezoriente Gewalt- und Kriminalitätsprävention“ haben, über das Dagmar Rohl und Renate Haustein berichteten. In Kooperation mit Kiez, Bezirk und Land wurden im Sommer erfolgreich Basketballspiele und ein Jugendcafé organisiert.

Die Bewohner des Chamisso- Kiezes bezweifeln jedoch, daß die Probleme in den Körben versenkt werden könnten: „Im Sommer, wenn man Basketball spielen könnte, ist es sowieso immer ruhig. Da sind alle in Ferien.“ Kirsten Küppers