: Kleinstadtidylle mit obligatem Heimathaß
■ Mutmacher für Einfamilienhausfrauen: „Das Puppenhaus“ von Sabine Friedrich
Zunächst deutet nichts darauf hin, daß man diesen Roman zu Ende lesen wird. Dem magisch anmutenden Umschlagbild zum Trotz (ein rotes Haus ragt hexenhaft schräg in einen stürmischen Himmel hinein) heißt die Hauptfigur Doris, ist eine frustrierte Tierarztgattin im Fränkischen und denkt in jedem dritten Satz mindestens ein Wort kursiv. Sie vernachlässigt sich natürlich und fürchtet den Osterbesuch ihrer Mutter aus Hamburg. Erwartungsgemäß rückt dieser Besuch näher, kommt an und wird dazu genutzt, zu enthüllen, daß Doris vor kurzem ein erbgutgeschädigtes Kind im fünften Monat abgetrieben hat. Problembelletristik!
Nur weil das Fernsehen nichts zu bieten hat und der Abend noch lang ist, gibt man dieser Geschichte eine Chance. Zum Glück. Denn Sabine Friedrich (Jahrgang 1958, lebt in Coburg), deren erster Roman „Das Puppenhaus“ ist, braucht ein paar Dutzend Seiten, um sich von der Verzopftheit dieser Exposition ironisch zu distanzieren. Wenn man das nächste Mal auf die Uhr schaut, ist es drei Uhr nachts, die ersten 300 Seiten sind gelesen und die fehlenden 80 hebt man sich auf fürs Frühstück.
Das Gute daran ist das Viele darin: Es ist ein ernsthaftes Mutmacherbuch für Einfamilienhausfrauen Ende Dreißig und gleichzeitig eine Satire darauf. Es ist als „Roman mit Morden“ ein richtig spannender Krimi, aber auch eine kolportagehafte Groteske. Es ist eine giftige Milieustudie mit Oasen echter Kleinstadtidylle, es gibt erschütternd wenig Liebe und nur heimlichen Sex, aber das Ende ist kitschig und voller Hoffnung.
Das Beste aber ist Friedrichs Bodenhaftung bei ihren Streifzügen durch die Genres und talkshowkompatiblen Probleme: Selbst beste Freundinnen gehen mit deinem Mann ins Bett, aber das macht eigentlich nichts, Spießerinnen behaupten auch nach der Urschreitherapie immer noch, daß ihr belangloser Sohn ein Genie ist, mystische Eingebungen sind meistens Quatsch, vermeintliche Kinderschänder zuweilen unschuldig und manche Ehen nicht mehr zu retten.
Daß Doris zu Anfang in jedem dritten Satz ein Wort kursiv denkt, entpuppt sich übrigens als zwanghafte Vorwegnahme der Sprechweise ihrer Mutter und legt sich dann. Auch sonst ist Sabine Friedrich stilistisch kein Vorwurf zu machen, im Gegenteil. Mit Sympathie, aber ohne Eifer blickt sie auf ihre Hauptfigur, spottbereit, aber fair auf alle anderen. Ein angenehmes und klares, oft witziges Buch, in dem durchaus liebevoll auch mit dem Fränkischen abgerechnet wird. Ein Heimatroman, ein deutscher, und als solcher natürlich auch ein Heimathaßroman. Petra Kohse
Sabine Friedrich: „Das Puppenhaus. Ein Roman mit Morden“. Piper Verlag, München 1997, 390 Seiten, 39,80 DM
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