"Ich schreibe wie ein Mann"

■ Gespräch mit Susanna Moore über Thriller und ihren Roman "Aufschneider", über die Faszination männlicher Helden und starke Frauen, über das Erotische und Gewalt in New York

taz: Ist „Aufschneider“ eine literarische Stilübung? Wollten Sie das Thriller-Genre erproben?

Susanna Moore: Ja, es ist tatsächlich eine Art Übung, ein Genrebuch. Ich habe es auch sehr schnell geschrieben, es war wie eine Explosion. Ich wollte alle Regeln ausprobieren, die ich nur finden konnte. Da ist normalerweise dieser männliche Held: mittleren Alters, ein Außenseiter, geschieden, enttäuscht von der Welt. Und er wird jünger, er lebt ein neues Leben, meist durch eine Frau, die ihn „erlöst“. Die Frannie in meinem Buch hätte ja auch das Potential, den Mann wieder aufzubauen, aber sie will es nicht. Eigentlich hatte ich gedacht, ich hätte eine Liebesgeschichte geschrieben, aber die Leute haben so wütend reagiert, daß ich mich da wohl getäuscht haben muß.

Was hat Sie so gereizt an diesem Genre, am Thriller?

Meine drei vorigen Bücher waren sehr autobiographisch, und wie alle Schriftsteller habe ich eine Riesenangst vor dem Gedanken, immer wieder dasselbe zu schreiben. Außerdem hatte ich bestimmt 2.000 Thriller gelesen. Denn wenn ich selbst einen Roman schreibe, entmutigt es mich zu sehr, zu lesen, was andere, zeitgenössische Autoren schreiben. Also las ich Thriller. Von den Klassikern wie Mickey Spillane oder Dashiell Hammet bis hin zu einem australischen Aborigine, der Napoleon Bonaparte heißt. Ich dachte, es müßte doch interessant sein, in diesem Genre zu schreiben: Wie sollte ich das als Frau angehen? Der männliche Held des Thrillers ist unwiderstehlich. Also wollte ich etwas über eine Polizistin schreiben, aber ich merkte, das paßt nicht ins Genre, es funktioniert nicht, sie ist kein Archetyp. Mit einer Frau als Heldin würde es nicht die gleiche emotionale, romantische und intellektuelle Resonanz geben. Es ist einfach zu neu. Frannie ist eine Frau, die den Dingen unbedingt auf den Grund gehen will. Sie versucht, die Wahrheit herauszufinden.

Typisch weiblich...

Na ja, wenn man Macht hat, neigt man weniger dazu, die Dinge zu untersuchen. Frauen sind Außenseiter, darum haben sie all diese Attribute, die man ihnen zuschreibt: Instinkt, Klatsch, Neugier. Das sind hervorragende Werkzeuge, mit denen wir ausgestattet sind, um die Wahrheit herauszufinden. Für mich war es schon als Mädchen immer sehr klar, daß ich mich sicherer fühlen würde, wenn ich dahinterkäme, was passierte. Klarheit finden, eine Bedeutung – auch um nicht verrückt zu werden. Je furchteinflößender etwas ist, desto wichtiger ist zu wissen, was passiert.

Ein grundlegendes Element des Thrillers ist die Gewalt. Die Welt, in der Frannie lebt, New York, ist sehr gewalttätig. Läßt sich in einem Thriller besser über Gewalt gegen Frauen schreiben?

So vieles auf der Welt richtet sich gegen Männer und Frauen, aber für Frauen ist die Welt gefährlicher als für Männer. Das ist statistisch belegbar. Sie werden getötet, vergewaltigt – oft von den eigenen Männern oder Freunden.

In Deutschland nennt man das „Beziehungstaten“.

In Amerika „date rape“. Ich mag dieses Wort nicht, aber es ist faszinierend. Sprache ist so faszinierend... Ich glaube, Männer behandeln Frauen so, weil sie es können. Ich habe meine männlichen Freunde immer gefragt, ob die Taxifahrer auch so mit ihnen sprechen wie mit Frauen: Na, geht's nach Hause. Fährst du zu deinem Mann? Ein Mann erlebt in einem Taxi etwas ganz anderes als eine Frau. Aber mit uns können sie so reden. Sex, Gewalt und das Leben als Frau sind auch die Themen meiner anderen Bücher. Frauen leben in einer so schwierigen Balance. Wie können sie sich wohlfühlen, ohne gegen gesellschaftliche Regeln zu verstoßen? Wenn dir die Bauarbeiter auf der Straße nachpfeifen, wie reagierst du? Schreist du, schämst du dich oder fühlst du dich geschmeichelt? Verrätst du dich selbst, wenn es dir gefällt? Dieses weibliche Schuldgefühl finde ich sehr interessant.

Von der Verlagswerbung wird Ihr Roman als „erotischer Psychothriller“ angepriesen, und in New York soll er sogar einen „Literaturskandal“ verursacht haben.

Und ich verbringe jeden Tag damit zu erklären, daß dies kein pornographisches Buch ist. Ich wollte über Sex schreiben, das stimmt. Damals war gerade „Vox“ von Nicholson Baker erschienen, und alle schrieben darüber, wie erotisch dieses Buch sei. Ich dachte: Das verstehen die Leute also unter erotisch. Ich wußte, daß es sehr hart ist, über Erotik zu schreiben, aber ich wollte es ausprobieren. Und zwar anders als all diese anderen Frauen, die über Sex schreiben, Sie wissen schon, dieses Süßliche, diese Anais-Nin-Schule, das fand ich zum Weinen, unerträglich. Es ist sehr schwierig zu beschreiben, was in einem vorgeht, wenn man sexuelle Lust empfindet. Alles, was ich las, fand ich peinlich. Es gibt hundert Beschreibungen, wie es ist, einen Orgasmus zu haben, und sie sind alle nicht zutreffend. Also dachte ich, ich müßte auf alle Vergleiche verzichten. Nichts ist „wie“ etwas. Frannie sagt nie, wie es ist. Auch nicht, wenn sie sich mit Pauline unterhält. Dann spricht sie etwas amüsiert darüber. Ich beschreibe also nur, was passiert. Und zu meiner großen Freude steckt sogar Ironie darin. Wenn man mir sagt, ich schreibe über Sex wie ein Mann, freut mich das. Frauen denken nicht mehr so darüber wie früher. Sie reden auch anders darüber. Meine Tochter und ihre Freundinnen benutzen das Wort „ficken“ ganz selbstverständlich – und dadurch verliert es seine männliche Macht.

Sie schreiben, die Männer müßten die Frauen verachten, „um sich in unsere Nähe zu trauen, um die entsetzliche Angst zu überwinden, die sie vor uns haben“. Warum sollen sie Angst haben?

Ich glaube, sie müssen uns entmachten, um sich uns zu nähern, weil sie ängstlich sind und ärgerlich. Sie fühlen sich schuldig, und wenn du dich schuldig fühlst, verachtest du die Person, die das Schuldgefühl auslöst. Vieles in meinem Buch ist sehr übertrieben. New York, Downtown, das ist ganz anders als in Wirklichkeit. Aber auch die Straßensprache, die Frannie sammelt und aufschreibt, übertreibt. Und der Bulle ist eine übertriebene Metapher für Männlichkeit. Aber in dem Buch ist auch sehr viel Humor. Und natürlich die Erkenntnis, daß sie dich am Ende doch immer kriegen. Eigentlich ist die Geschichte eine Art Fabel. Interiew: Diemut Roether