piwik no script img

Mörder auf der Flucht

■ Brian Moores fast authentischer Psychothriller über einen Vichy-Kollaborateur und dessen Schutz durch die katholische Kirche

In den Weinbergen von Südfrankreich soll ein Auftragsmord exekutiert werden. Aber der, der hätte töten sollen, wird selbst getötet. Der Mörder des Killers ist ein alter Mann, einer, der „mit dem Geschick langjähriger Erfahrung“ die Waffe führt, einer, der selbst gejagt wird und deshalb alle Zeichen der Jäger kennt. Seit 44 Jahren ist der zweimal wegen Verbrechen wider die Menschlichkeit in Abwesenheit zum Tode Verurteilte auf der Flucht, gedeckt, beschützt, verteidigt wird er von Mönchen, Patern, Äbten. „Für die Kirche gilt nicht das Gesetz der Menschen, sondern das Gesetz Gottes“, sagt sein Beichtvater. Ego te absolvo: Pierre Pouliot alias Pierre Brossard, der Vichy-Milizionär, der am 15. Juni 1944 vierzehn zusammengetriebene Juden aus Dombey erschoß, erhält die Lossprechung von allen Sünden immer wieder, weil er in den Augen der Kirche seine Sünden schon längst gesühnt hat. Für sie bleibt er ein patriotischer Kämpfer gegen die kommunistische Résistance, einer, der nicht unschuldige Juden, sondern gottlose, gar teuflische „Itzigs“ hat richten müssen. Ego te absolvo, dazu das Asyl der Kirche, der monatliche Scheck und die Protektion von ganz oben. Aus dem Palast des Präsidenten?

Davon, wie sich die Schlinge um Pierre Brossard allmählich dennoch zuzieht, handelt dieser 18. Roman des hochbegabten irisch- kanadischen Schriftstellers Brian Moore. „Hetzjagd“, im englischen Original weniger präzise „The Statement“ getitelt, ist ein Thriller, aber auch wieder nicht. Es geht um Frankreichs Schande, um die Kollaboration der Vichy-Regierung und darum, dieses Kapitel unter der Decke zu halten. Die Figur Pierre Brossard ähnelt bis auf Details dem realen Menschen Paul Touvier, dem ehemaligen Geheimdienstchef der Vichy-Miliz in Lyon und Komplize des deutschen Gestapochefs Klaus Barbie. 1994 wurde er als erster Franzose wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht gestellt und zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Er starb 1996. Zuvor hatte er sich 40 Jahre lang in Klöstern und Sakristeien vor der Justiz verstecken können, seine treuesten Förderer waren – genau wie die von Pierre Brossard im Roman – traditionalistische Rechtskatholiken um den von Rom abgefallenen Bischoff Lefèbvre.

Warum hielten Kleriker auf allen Stufen der französischen Hierarchie Gottes Hände über ihn? Die Frage wurde in Wirklichkeit für die Kirche so peinlich, daß sie schon vor Touviers Festnahme, nämlich 1989, eine Kommission unter Vorsitz eines unabhängigen Historikers einrichten ließ. Auch im Roman gibt es diese Kommission, und sie kommt zum realen Schluß, daß Brossard, dieser eigentlich kleine Fisch, in Lebensgefahr schwebt, weil es noch Haie gibt, die unbehelligt herumschwimmen. Zu diesem Ergebnis kommt parallel auch eine junge Untersuchungsrichterin, die ihrer eigenen Zunft so mißtraut, daß sie einen Colonel der Militärpolizei mit Nachforschungen betraut. „Brossard muß man fassen, um drei wichtigere Prozeß führen zu können.“

Der Roman erzählt die Geschichte, wie verschiedene Personen immer intensiver und unter wachsendem Zeitdruck Brossard suchen. Die einen wollen ihn töten, damit der größte Hai, namentlich Maurice Papon, weiter Ehrenbürger der französischen Gesellschaft bleibt. Die anderen wollen ihn lebend, damit nach seinem Prozeß dem früheren Vichy-Generalsekretär des Departments Gironde, dem Schreibtischmörder von 1.690 Juden, dem späteren Polizeipräfäkten von Paris, Maurice Papon, erst der Prozeß gemacht werden kann. Und dazwischen steht die französische Kirche, die das weltliche Rechtssystem verachtet, den Zeiten der Vatikan-Pässe für Nazis hinterhertrauert und die erst vor sechs Wochen erstmals öffentlich ihre Mitschuld bei der Verfolgung und Ermordung der Juden eingestand.

Brian Moore erzählt die Geschichte dieser „Hetzjagd“ aus mehreren Perspektiven, am ausführlichsten aus der Perspektive des alten, herzkranken, sich ständig den Puls fühlenden, aber dennoch kühl kalkulierenden Gejagten. Ihn interessiert der Mörder auf der Flucht, der immer stolz bleibende Bettler vor den Klosterpforten. Ihn interessiert das Gewissen eines Mannes, der sich nicht schuldig fühlt, aber dennoch Zweifel hat, und weil er sie hat, mit diesen die Leser zur Kollaboration einlädt. Genau dies ist das Irritierende an diesem glänzend geschriebenen, hochspannenden Buch; es erhebt nicht den Zeigefinger, sondern nur einen kalten Spiegel. Und das tut weh. Anita Kugler

Brian Moore: „Hetzjagd“. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Diogenes Verlag, Zürich 1997, 297 Seiten, 38 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen